Festung Breslau - Kriegskameraden des Hans-Jürgen Migenda berichten
(Webseite noch im Aufbau)
Vorwort:
Mit dem Nachlaß seiner Eltern geht jeder anders um. Eine Möglichkeit besteht darin, sich die Rosinen rauszupicken und den Rest ungesehen zu entsorgen. Das ist der leichte Weg. Der etwas mühseligere ist, genauer hinzusehen und zu entscheiden, was wichtig und was unwichtig ist, was man behält und was nicht. Den gehe ich. Und so erfahre ich manches interessantes, so auch, daß mein Vater mit seinem ehemaligen Vorgesetzten in Nipperwiese und Breslau, dem Oberleutnant Reinhard Paffrath (1906 – 1987), ein Buch über ihre Kriegserlebnisse schreiben wollten. Der unerwartete Tod des Reinhard Paffrath beendete dann 1987 das Projekt, insbesondere da dieser das Manuskript des geplanten Buches besaß.
Einiges lief auch über meinem Vater und dort sind nun eine handvoll Erlebnisberichte von ehemaligen Kriegskameraden zu finden. Sie wurden ihm mit der Erlaubnis der Veröffentlichung übergeben, sind oder sollten teilweise auch an anderer Stelle veröffentlicht werden. Da sie die Kriegserlebnisse meines Vaters um Breslau 1945 von anderer Seite beleuchten, werde ich sie hier, wie einst versprochen, sprechen lassen. Den einzelnen Zeitzeugen war klar, daß ihnen im Laufe der Zeit so manches entfallen bzw. manche Reihenfolge nicht mehr ganz richtig war. Aber es ergibt sich ein Gesamtbild der damaligen Geschehnisse. Geschehnisse, wie mein Vater auch mal in einem Schreiben an einen Fallschirmkameraden illusionslos meinte, heute keinen mehr interessieren und in Zukunft vielleicht nur noch für den einen oder anderen Historiker von Interesse sind. Mag es auch so scheinen, zu den Wenigen können nun die längst Verstorbenen hier ihre unzensierten Geschichten erzählen.
Einiges lief auch über meinem Vater und dort sind nun eine handvoll Erlebnisberichte von ehemaligen Kriegskameraden zu finden. Sie wurden ihm mit der Erlaubnis der Veröffentlichung übergeben, sind oder sollten teilweise auch an anderer Stelle veröffentlicht werden. Da sie die Kriegserlebnisse meines Vaters um Breslau 1945 von anderer Seite beleuchten, werde ich sie hier, wie einst versprochen, sprechen lassen. Den einzelnen Zeitzeugen war klar, daß ihnen im Laufe der Zeit so manches entfallen bzw. manche Reihenfolge nicht mehr ganz richtig war. Aber es ergibt sich ein Gesamtbild der damaligen Geschehnisse. Geschehnisse, wie mein Vater auch mal in einem Schreiben an einen Fallschirmkameraden illusionslos meinte, heute keinen mehr interessieren und in Zukunft vielleicht nur noch für den einen oder anderen Historiker von Interesse sind. Mag es auch so scheinen, zu den Wenigen können nun die längst Verstorbenen hier ihre unzensierten Geschichten erzählen.
Der Kampf um die schlesische Hauptstadt Breslau vom Januar bis 6. Mai 1945
Bericht des Herrn Arthur Künne aus Oberelchingen, aufgeschrieben Anfang der 1950ger Jahre
Durch das Kriegsschicksal wurde ich, von Profession Kavallerist, zur Inf. Nachr. Ers. Kom. 28 in der Breslauer Kürassierkaserne verschlagen. Wie man sich in Lauf der Zeit mit allem abfindet, so auch mit diesem. Ob bei der Kavallerie in Oels oder bei der INEK 28, der Heimatdienstbetrieb ist überall derselbe. Zunächst wurde feste Nachersatz im Funken, Geländedienst usw. ausgebildet. Eines Tages kam eine Abkommandierung zum Gen.Kdo. VIII in die Hardenbergstraße. Ein kleines Wanderleben begann für mich in Form von Dienstreisen nach Berlin zum OKW, zur Reit- und Fahrschule Militsch usw.
In der Nacht von 10. zum 11. Januar 1945 prasselten die ersten sowjetischen Bomben auf die bis dato vom Krieg noch ziemlich unberührte Stadt. Am Vormittag des 14. Januar fahre ich mit einem Kommando in die Wohnung des Hauptmann Dziallas vom Gen.Kdo. und räume dort. Das Nachbarhaus von ihm in der Güntherstraße ist ziemlich mitgenommen durch den Luftangriff. Wie wir gerade beim Räumen sind, erfahren wir durch einen anderen Offizier von dem Durchbruch der Russen im Baranowbrückenkopf. In den folgenden Tagen wird der gesamte Standort Breslau unter dem Kommando des Standortältesten Generalmajor Krause zum Schanzen und Bau von Panzergräben eingesetzt. INEK 28 ist in der Gegend von Klarenwalde eingesetzt. Am 21. Januar wird Breslau zur Festung erklärt.
Gleichzeitig wird bekanntgegeben, daß Posen, Neisse, Glogau und andere Städte ebenfalls diesen zweifelhaften Ruhm erlangt haben. Mit der Festungserklärung sind naturgemäß Ausnahme- und. Kriegszustand verbunden, dementsprechend auch verschärfte Gesetze. Standgerichte schossen wie die Pilze aus dem Boden. Auf dem Breslauer Hauptbahnhof herrscht ein fürchterliches Gedränge. Alles versucht, mit den letzten Zügen aus der Festung zu kommen. Zwischen den Zivilisten taucht SS. und Wehrmachtstreife auf mit der Aufgabe, das Entweichen einsatzfähiger Soldaten aus der Festung zu verhindern. – Aber nicht nur der Breslauer Bahnhof ist Schauplatz eines fürchterlichen Gedränges, auf den Ausfallstraßen der Stadt ist es beinahe noch schlimmer. Streckenweise sind sie verstopft mit Flüchtlingen aus Oberschlesien und den anderen Gebieten östlich der Oder. In Breslau scheint es blutiger Ernst zu werden. In aller Eile wird ein Teil des Gen.Kdo. VIII verladen und nach Hirschberg gebracht. Von durchkommenden Verwundeten hört man schon von Kämpfen in der Gegend von Tschenstochau. Russische Panzer sollen schon in der Gegend von Gleiwitz und Oppeln aufgetaucht sein.
In Breslau wird der Volkssturm unter die Waffen gerufen, vorerst allerdings nur, um unter der Anleitung von Pionieren Barrikaden aufzubauen. Aus den in Breslau liegenden Ersatzeinheiten werden die Festungsregimenter Mohr, Reinkobler und Sauer, aus den SS-Einheiten wird das SS-Regiment Beslein gebildet. Später wird noch aus den zurückkommenden Einheiten der Kavallerie-Ersatzabteilung 8 das Regiment Hanf, und aus den Männern der Luftwaffenkriegsschule das Regiment Wehl aufgestellt. Währenddessen rollt die Panzertruppe des Grafen Strachwitz durch Breslau in Richtung Oels. Aus anderer Richtung kommt eine vollständige Infanteriedivision 269 zum Einsatz in Richtung Oels. An schweren Waffen steht das Artillerie-Regiment Siebert zur Verfügung, einige RAD-Flakbatterien und ein paar leichte Panzer, die in Breslau zur Reparatur waren. Als Verstärkung der Heereseinheiten wird unter Befehl des Gebietsführers Hirsch einige HJ=Volkssturmbataillone aufgestellt.
Ich selbst marschiere mit einem Teil meiner Funker nach Breslau-Carlowitz in die Hindenburgkaserne, wo von Stabswachtmeister Vandrey vom KR8 ein Nachrichtenzug für das Bataillon Tilgner (Regiment Mohr) zusammengestellt wird. Am nächsten Tag werden wir in diesem Bataillon unterstellt, das seinen Gefechtsstand in der Vereinigten Glanzstoffabrik in Friedewalde hat. Die Kompanien des Bataillons liegen bei Güntherbrücke (Schwoitsch) und Hundsfeld, unser äußerster Posten liegt in der Brauerei Sakrau. In Güntherbrücke bei Schwoitsch ist auch eine RAD-Flakbatterie stationiert. Im großen Ganzen kann man sagen, daß unsere Sicherung nach Osten wohl die beste in ganz Breslau war (der russische Angriff wurde ja aus dieser Richtung erwartet).
Am 24.1. kommt die Meldung, daß der Iwan OeIs genommen hat. Die Inf.Div., die wir durch Breslau rollen sahen, wurde im russischen Feuer auf dem Oelser Bahnhof ausgeladen. Kurz drauf kommen auch die ersten Landser bei unserem vordersten Posten in Sakrau an. sie erzählen ziemlich tolle Sachen von Oels. So soll auf dem dortigen Flugplatz eine startbereite, vollaufgetankte und aufmunionierte Düsenjägerjagdstaffel den Russen in die Hände gefallen sein. Starke Kämpfe seien bei der Richthofenkaserne gewesen, dort habe ein ganzer Zug von lauter Wachtmeistern des K.R.8 im Gefecht gelegen.-
In der Gegend von Sybillenort hat eine Fernpatrouille von uns die erste Feindberührung. Lange kann es dann ja nicht dauern, bis die ersten eisernen Grüße vom Iwan zu uns rüberfliegen. den Tag drauf schmeißt der Iwan unsere Leute aus Sakrau heraus und befunkt uns von dort mit der ratsch-Bum. Sonst unternimmt der Iwan außer kurzen Spähtrupps aber nichts.
Anfang Februar wird die unter meiner Führung stehende Regimentsfunkstelle in Friedewalde abgelöst. wir werden zum Regiment nach Oswitz zurückgerufen und bilden die Hauptfunkstelle. In Oswitz haben wir eine verhältnismäßig ruhige Zeit, während auf Breslau selbst Tag und Nacht Bomben regnen. Eines Tages nähert sich aus östlicher Richtung ein Flugzeuggeschwader. Beim Näherkommen wird. festgestellt, daß das gänzlich schwarzgestrichene Geschwader in verhältnismäßig niedriger Höhe den uns gegenüberliegenden Gandauer Flughafen anfliegt. Aus den Maschinen lösen sich Gegenstände, die sich als rote Fallschirme entwickeln. Von allen Seiten wird ein heftiges Gewehr- und MG-Feuer auf die Maschinen eröffnet. Erst zuletzt erkennen wir sie als He 111, die versorgungsbomben abladen. In die Oswitzer Zeit fällt auch die vollständige Einschließung Breslaus, Erschießung des 2. Bürgermeisters der Stadt vor dem Rathaus durch Volkssturm am 28.1. und die Ablösung des Festungskommandanten Generalmajor Krause durch den Oberst v. Ahlfen (Früher Kompaniechef beim Pionierbataillon 5 in Ulm). V. Ahlfen wird Generalmajor, Krause wird nach Berlin ausgeflogen und soll angeblich gehängt worden sein. Vom Russen wird die Stadt jetzt außer den zur Gewohnheit gewordenen Luftangriffen noch unter Beschuß durch schwere Eisenbahngeschütze (17,2 cm und 28 cm) genommen. Leider können wir nicht erwidern, da es uns vollständig an Munition für die schweren Waffen fehlt. Auch Luftangriffe auf die russischen Stellungen durch deutsche Bomber sind. sehr selten. Ab und zu sieht man mal eine Staffel Messerschmidt, aber die sind bald wieder weg. Aus beschädigten Panzern der Panzergruppe des Grafen Strachwitz, die nach Breslau gebracht wurden, werden sogenannte Jagdpanzer hergestellt. Auch einige ältere P 4-Fahrgestelle, die im Zeugamt, bzw. in der Jahrhunderthalle lagerten, werden zu Jagdpanzern aufgerüstet. Diese Panzer sind meist mit 2-cm-Zwillingsflak ausgerüstet, aus denen Brandmunition geschossen wird. Wir konnten, obwohl anfangs skeptisch, beobachten, daß geschickter Einsatz dieser Panzer manchem russischen Koloß zum Verhängnis wurde. (So bei den Schrebergärten).
In den ersten Märztagen wird das Regiment in Oswitz durch Volkssturm abgelöst, wir kommen ins Postamt 10 Matthiasstraße. Das ist eine bißchen windige Ecke. Dicht beim Postamt 10 liegt der Elbingbunker (gegenüber der Jungfrauenkirche, 200 Meter westlich vom Waterlooplatz), voll mit Verwundeten. durch indirekten Beschuß mit Ratsch-Bum hat der Russe hier so manchen Treffer auf die Lüftungsöffnungen erzielt und unter den Verwundeten aufgeräumt. Wie sich später herausstellte, hat der Iwan seine Schußwerte durch eine in der Nähe des Elbingbunkers sitzende Spionagegruppe mit Funkgerät erhalten. Als man die Gruppe ausheben wollte, war das Nest leer. Auch so etwas soll in einer Festung vorkommen.
Bei Tag konnte man sich zeitweilig überhaupt nicht aus dem Keller des Postamtes heraustrauen, da der Russe in rollendem Einsatz mit Tieffliegern die ganze Gegend. beharkte, hauptsächlich die Matthiasstraße aus Richtung Universität. Im Rundfunk wird in jenen Tagen vom Sender Leipzig die Meldung durchgegeben, der Süden der Stadt sei freigekämpft worden, sämtliche Zivilisten sollen die Stadt verlassen. Erst zu spät, nachdem bereits eine ganze Anzahl Frauen und Kinder dem Russen in die Fänge gelaufen ist, erkennt man, daß der Russe diese Meldung auf der Wellenlänge des Reichssenders Leipzig durchgegeben hat. Tatsächlich wurde ja der Einschließungsring weder im Süden noch sonstwo von deutschen Truppen aufgebrochen. Anfang März erfolgte meine Versetzung zum Festungsnachrichtenstab in der Vorwerkstraße. In der Stadt hängen überall Plakate mit dem Aufruf, daß sich Posen schon 3 Wochen halte, und daß Breslau Posen nicht nachstehen würde. Die Festungskommandantur hat sich in den Bunkern auf der Liebighöhe eingerichtet. Wer die reizenden Anlagen der Liebighöhe aus Friedenszeiten kennt, kann sich vielleicht kein Bild machen, wie es dort nach Breslaus Kapitulation ausgesehen haben mag. Daß die Liebighöhe als Herz Breslaus magnetische Kraft auf sowjetische Bomben und Granaten ausübte, läßt sich ja denken.
Der Russe hatte jetzt seine Angriffe auf den Süden der Stadt forciert. Aus der Richtung Klettendorf schob er sich über die Umgehungsbahn immer dichter an die Stadt heran. In Südpark spielen sich heftige Kämpfe ab, bei denen 2 Bataillone HJ sich sehr tapfer schlägt. Der Russe wird zurückgeworfen, stürmt aber kurze Zeit später mit ungeheurer Übernacht und Panzerunterstützung wieder an.
Es entwickeln sich heftige Kämpfe in der Hohenzollernstraße, in der Straße der SA (Kaiser-Wilhelm-Straße), am Reichspräsidentenplatz (Hindenburgplatz), in der Goethe-, Viktoria- und Gabitz-Straße. Die Straßenbahnremisen und die Kürassierkaserne, sowie das Generalkommando in der Hardenbergstraße fallen in russische Hände. In dieser Gegend herrschen oft die verrücktesten Frontverhältnisse. Oben im Haus sitzen deutsche Landser, während unten in Keller der Russe durch die Mauerdurchbrüche eindringt und mit erbeuteten deutschen Panzerfäusten den schönsten Rabatz macht. Es ist nicht immer einfach, ihn wieder rauszuwerfen.
Mitte März werde ich zum Stab des Rgt. Mohr versetzt. Das Regiment liegt am Elferplatz in der Nähe des Freiburger Bahnhofs. Im alten Freiburger Bahnhof ist die Regimentshauptfunkstelle untergebracht. Hier sammelt sich auch eines Tages das durch Transportmaschinen in die Festung geworfenen Fallschirmjägerabteilung Hacker. Es sind großteils junge Leute, die im Brennpunkt der Kämpfe, nämlich in der Goethe-, Gabitz- und Viktoriastraße zum Gegenstoß antreten sollen. Kaum sind die Fallschirmjäger abmarschiert, rollt ein sowjetischer Tieffliegerangriff über den alten Freiburger Bahnhof hinweg. Ich stehe gerade im Eingang und kann beobachten, wie die Bomben fallen. Wie ich die Kellertreppen hinunterkam, weiß ich nicht mehr, jedenfalls geschah es mit einen fürchterlichen Schrei: „Achtung Bomben, volle Deckung!“ Gleich drauf kracht es, ich werde in dem engen Gang unter einem umstürzenden Aktenschrank der Reichsbahn begraben. AIs ich wieder zu mir kam, bin ich unter dem Aktenschrank und Trümmern fest eingeklemmt. Mit aller Mühe versuche ich mich rauszubuddeln, aber immer wieder nachrutschender Schutt macht meine Mühe vergebens. Endlich, nach unheimlich langer Zeit werde ich durch Landser rausgeholt. Durch den Angriff wurde die gesamte Hauptfunkstelle außer Gefecht gesetzt. Mehrere Tote, darunter nach auch Zivilisten (Frauen und Kinder) waren zu beklagen.
Regiment Mohr wird nach Pilsnitz verlegt. Am hellen Tage marschieren wir unbelästigt von feindlichen Fliegern die Frankfurter Straße entlang. In der schlesischen Blindenanstalt bezieht Major Mohr seinen Gefechtsstand. Ich werde zum Bataillon Tilger (das anfangs dem Regiment Sauer angehörte, jetzt aber beim Regiment Mohr war) abkommandiert. In Pilsnitz, in dem zuerst SS lag, beziehe ich nach Meldung bei Major Tilgner mit meinen Leuten (insgesamt 10 Mann, Unteroffizier Jung, Gefreiter Günther Ellguth, Schütze Otterbach – die anderen Namen sind mir entfallen) in der Udetstraße Quartier. Da die Funkverbindung hier aber sehr schlecht ist, verlege ich am anderen Tag dicht neben den Btl.-Gef.Std. in die Bäumlerstraße.
Links von uns in Schmiedefeld liegt das Bataillon Friz, dicht am Gandauer Flughafen. Unsere Kompanien liegen an der Lohe (kleiner Bach) und in Lohebrück, die Reservekompanie liegt in der Ziegelei 300 m vor uns. Links ist die sogenannte John‘sche Brüterei.
Einige Tage herrscht in Pilsitz herrliche Ruhe, während in Breslau selbst die Hölle los ist. Doch auch die Stille bei uns war eine Ruhe vor dem Sturm. Der Iwan befunkte uns ganz überraschend mit schweren 17,2 cm und 28 cm Eisenbahngeschützen. So ein Einschlag riß die leicht gebauten zwei- bis dreistöckigen Reihenhäuser glatt durch. Auf dem Richthofenplatz in Pilsnitz fanden wir einen Blindgänger, gut mannsgroß und mannsdick, meiner Schätzung nach 21-28 cm Eisenbahngeschütz. Wie mir ein Feuerwerker erzähte, soll in einem derartigen Blindgänger, anstelle eines Sprengsatzes ein Zettel gewesen sein mit folgender Aufschrift: „Mehr können wir für Euch nicht tun! Eure Kammeraden“. Wie gesagt, ich habe es selbst nicht gesehen! Es war kurz vor dem Karfreitag, so um den 28. März rum. Ich stehe am Spätnachmittag gerade vor der Funkstelle. Zur Kennzeichnung hatten wir außen ein Plakat mit einem Blitz angebracht. Plötzlich krachts und staubts an der Hauswand und das Plakat segelt herunter. Mit einem Sprung bin ich die Treppe runter, schnappe mein Fernglas und sehe mir die Gegend an, da kommen ja auf der Straße von der John’schen Brüterei her Iwans! Langer brauner Mantel, auf dem Kopf zum Teil Stahlhelm oder Schiffchen, auf dem Rücken grünbrauner Rucksack. Ich telefoniere zum Gefechtsstand rüber, die sind ganz erstaunt und meinen, das werden wohl deutsche Landser sein. Na, dann paßt mal auf, wie die sogenannten deutschen Landser jetzt hopsen werden, sage ich, schnappe meine italienische Beretta-MP und jage einen langen Feuerstoß in die Russen rein. Jetzt werden sie auch in Gefechtsstand munter und gehen den Iwan mit Sturmgewehren an. Ein Melder des Bataillons fällt dabei. Wie wir später feststellen, sind die Russen unter Umgehung der Reservekompanie durch die John’sche Brüterei geschlichen und wollten uns kassieren. Pech gehabt, daß ich gerade vor dem Bau stand und sch..... gehen wollte. Rechts von uns waren sie schon bis zum Richthofenplatz in die Stellung der Inf.Geschütze eingedrungen. Dort hat es einen kurzen heftigen Nahkampf gegeben, bei dem alle Russen vernichtet wurden. Bei uns wurden einige Gefangene gemacht. Wie sie allerdings durch unsere Stellungen hindurchkamen, blieb ungeklärt.
Am Abend des Karfreitages ging dann der „Karfreitagszauber“ los. Aus allen Knopflöchern knallte der Iwan. Unsere Kompanien mußten sich zurückziehen. Wir erhalten per Funk den Befehl, die Stellung hinter den Richthofenplatz zurückzunehmen. Der Russe drückt mit Panzern. In den Kellerfenstern der Häuser am Richthofenplatz wird 2 cm Flak 38 auf einem schlittenartigen Lafettengestell und tschechische Skoda-Pak in Stellung gebracht. Wie ich gehört habe, soll diese auch einige Panzer abgeschossen haben, dann aber selbst in Fetzen geschossen worden sein. Am Ostermontag hat der Druck etwas nachgelassen, wir mußten aber feststellen, daß der Russe unser Nachbarbataillon Friz am Gandauer Flughafen stark bedrängte. Dieses Bataillon hatte auf der freien Fläche des Flughafengeländes sehr starke Verluste. Über Funk kam an Major Tilgner der Befehl, aus dem Bataillonen Tilgner und Friz, sowie aus dem auf dem Gandauer Flughafen liegenden Bodenpersonal, der in Pilsnitz liegenden Flak und Artillerie die Kampfgruppe Tilgner zusammenzustellen und Pilsnitz solange als möglich zu halten.
In der Nacht vom 3. auf 4. April macht ein von uns ausgesandter Spähtrupp die Feststellung, daß der Russe mit starken Kräften hinter dem Gandaurer Flughafen über den Judenfriedhof auf die Coseler Pionierkasernen durchgestoßen ist. Die Coseler Pionierkasernen liegen dicht an der Oder. Es hieß also mit anderen Worten, daß wir von Breslau abgeschnitten waren, denn an drei Seiten saß jetzt der Iwan, auf der 4. Seite, nämlich in unserem Rücken floß die Oder und trennte uns von Oswitz, in das der Russe noch nicht eingedrungen war. Da unsere Funkunterlagen am 3. April um 24 Uhr abgelaufen waren, versuchte ich in den Vormittagsstunden des 4. April per Fahrrad nach Breslau zu gelangen in der Hoffnung, daß sich unser Spähtrupp getäuscht habe. Kurz nach den letzten Häusern von Pilsnitz aber (ich fuhr mit dem Rad so schnell als möglich) bekam ich bereits Panzerbeschuß und nach einigen 100 Metern starkes MG-Feuer, so daß ich im ca. 25-Km-Tenpo in den Straßengraben fuhr, dort erst mal meinen Wadendurchschuß verband, dann das zerschossene Fahrrad liegenließ, und mich in Graben zurückschlich, so gut und so schnell es ging. Der neue Funkschlüssel wurde uns dann auf dem Funkweg (unter mehrmaligen Wellenwechsel zwecks Irreführung des Gegners) unter Benützung der alten Funkunterlagen übermittelt. Und nun jagt ein Funkspruch den anderen. Die Kampfgruppe Tilgner hat Pilsnitz unter allen Umständen bis 22 Uhr zu halten. Um 22 Uhr hat sich die gesamte Kampfgruppe über die Ransener Schleuse abzusetzen. Schwere Waffen, die ja nicht mitgenommen werden können, sind unbrauchbar zu machen.
In der Abenddämmerung werden sämtliche Flak, Pak, LIG 18, einige 10,5 cm/LFH 18 bis auf 2 oder 3, die gegen evtl. angreifende Panzer an Ort und Stelle sichern müssen, an die Oder gebracht, dort soweit als möglich auseinander genommen und versenkt. Die restlichen Geschütze müssen nach dem Absetzen gesprengt werden. Punkt 22 Uhr beginnen die Absetzbewegungen. Den Zivilisten bleibt es freigestellt, mit uns zu kommen oder nicht. Bis wir an der Ransener Schleuse waren, war es nach 23 Uhr. Und nun wurde es uns allen klar, warum keine schweren Waffen mitgenommen werden konnten. Selbst der LMG waren hinderlich. Man mußte zunächst eine eiserne Leiter ca. 5 m hoch erklettern, dann kam eine enge Öffnung, durch die sich gerade ein Mann ohne Ausrüstung durchdrücken konnte. Die MG‘s wurden an Stricken heraufgezogen, ebenso die Funkgeräte. Es wundert mich heute noch, daß der Russe die Schleuse nicht unter Feuer genommen hat, denn das Trappeln der nagelbeschlagenen Stiefel auf dem eisernen Steg mußte ja in der Nacht ziemlich weit zu hören sein. Die ganze Absetzbewegung hat aber unter einem glücklichen Stern gestanden. Nur einmal auf dem Marsch zur Schleuse krachte von den Coseler Kasernen eine Panzerkanone zu uns herüber, deren Leuchtspurgranate uns aber hoch überflog. Der einzige Tote, den wir hatten, war eine junge Frau, die trotz Warnung aus der Reihe tanzte und prompt auf eine eigene Mine lief. Das ganze Gelände an der Oderniederung wurde bis auf einen schmalen Pfad am 4. April vermint, um ein rasches Nachstoßen der Russen zu verhindern.
So gelangten wir im Morgengrauen des 5. April wieder nach Oswitz, das ich vor einem Monat mit meinen Leuten verlassen hatte. Aber wie sah dieses Ostwitz heute aus! Sämtliche Häuser waren restlos zerstört. Der Iwan mußte hier nicht wenig Bomben abgeladen haben. Von Oswitz aus marschierten wir über die Posener Brücke, deren eine Seite gegen Feindsicht mit Rupfen zugehängt war, wieder nach Breslau zurück. Kaum waren wir über die Oder, brausten auch schon die ersten Bomberverbände über die Stadt und luden ihren Segen ab. Unser Ziel war die Polizeikaserne (ehemalige Kaserne der 5liger) in der 5liger Straße, früher Lange Gasse. Ganz in der Nähe der Polizeikaserne lag auch das Heereszeugamt (am Sturmführer-Demmig-Platz). Viel Ruhe hatte man mir aber nicht gelassen in der Polizeikaserne. Ich wurde nach zwei Stunden bereits zum Bataillon des Ritterkreuzträgers Hauptmann Grehl abkommandiert.
Das Bataillon Grehl lag in der Malapanestraße, seine Kompanien lagen in der Lomnitz-, Bober- und Queisstraße. In unserem Gefechtsstand in der Blindenanstalt lag jetzt der Russe. Er muß dort überschwere Granatwerfer und Stalinorgeln stehen haben, denn wir bekamen aus dieser Richtung starkes Feuer. Auf dem Weg zum Bataillon Grehl kam ich auch wieder durch die Frankfurter Straße. Als wir nach Pilsnitz verlegt wurden, war die Frankfurter Straße noch unbeschädigt, jetzt war sie total ausgebrannt, die gesamten Geschäfte und Häuser waren restlos zerstört. - In der Lomnitzstraße, wohin Hauptmann Grehl seinen Gefechtsstand verlegte, waren wir schweren Luftangriffen ausgesetzt. Der Russe belegte mit einer phantastischen Exaktheit unsere vorderste Linie mit Bomben, obwohl seine eigene HKL nur Straßenbreite entfernt war. Dabei machten wir zum ersten Mal Bekanntschaft mit den Kettenbomben. Vorneweg fliegt eine Zementbombe, an die 2-3 Sprengbomben angekettet sind. Die Zementbombe haut durch ihre Wucht das ganze Haus durch bis in das Untergeschoß, wo dann die Sprengbomben zur Detonation kommen und so den ganzen Keller eindrücken. Dadurch verliert die eine Kompanie einen ganzen Zug.
In der Queisstraße ging mir auch ein Funkgerät verloren, die Funker konnten sich gerade noch retten. Während die Funker vor ihrem Gerät saßen, drang der Russe durch einen Mauerdurchbruch in den Keller ein, meine Funker sprangen im letzten Augenblick durch den Notausstieg in den Hof und schossen eine Panzerfaust in ihren Keller. Dadurch ging mit den Russen auch unser Funkgerät zum Teufel. Allmählich jedoch drückte uns der Russe zurück bis in den Schlachthof, nachdem er kurz zuvor in die auf unser linken Flanke liegende Schmidt‘sche Teerfabrik eingedrungen war. Aus dem Schlachthof wurde ich nach zwei Tagen abberufen, und zu einem Bataillon, das in den Schrebergärten lag, abkommandiert. Eines morgens kam unser Arzt, Dr. Richter zu uns. Er erzählte, daß er aus den Hausruinen an der Frankfurter Straße starkes MG-Feuer erhalten hätte. Ich bin dann gegen Mittag mit ihm zurück, um die neuen Funkunterlagen zu holen. Durch die ganzen Schrebergärten zogen sich Annäherungs- und Laufgräben, die aber meist nicht benützt wurden, weil sie voll mit Dreck und Wasser waren. So auch jetzt, und beinahe hätte es uns alle beide erwischt. Eine MG-Salve pfiff ein paar Zentimeter vor uns in den Dreck. Da verschwanden wir mit einem Satz in den Dreck des Laufgrabens.
Kurz vor der Polizeikaserne ging die Oelser Bahnlinie vorbei, die Straße führte durch eine Unterführung. Hier waren Frauen zum Schanzen eingesetzt. Auch an diesem Tag waren die Frauen wieder draußen beim Schanzen. Punkt 18 Uhr setzte ein Feuerüberfall des Russen auf die Polizeikaserne und das davorliegende Gelände ein, daß man sich nicht traute, die Nase zum Kellerloch herauszustecken. Die ersten Einschläge lagen mitten unter den schanzenden Frauen. Es gelang nur wenigen der rettende Sprung über den Bahndamm zur Kaserne. Da der Aribeschuß immer stärker wird, kann ich nicht zurück. Das Regiment verlegt jedoch im stärksten Feuer seinen Gefechtsstand in ein großes Geschäftshaus am Wachtplatz. Ich mache diesen Umzug mit. Auch das Festungskommando hatte inzwischen Stellungswechsel von der Liebighöhe zu den Bunkern in der Universität gemacht. Als der Regimentsgefechtsstand eingerichtet ist, erfahre ich von einem Ordonnanzoffizier von den Kämpfen im Gleisdreieck Frankfurter Straße, die am Tag vorher waren. Dort soll der Russe mit überlegenen Kräften angegriffen haben. Als Verstärkung wurde von uns die Kampfgruppe HJ eingesetzt, welche an diesem Tag nicht weniger als 30 russische Panzer mit der Panzerfaust abgeschossen. Vom Wachtplatz aus gehe ich wieder vor zu meinen Leuten. Unterwegs gehe ich aber noch einmal in die Polizeikaserne, die gerade geräumt wird. Da kommt noch so allerhand an brauchbaren Gegenständen zum Vorschein. Vor allem ergänze ich meine Ausrüstung durch eine neue Sauer-Polizeipistole. Meine alte Radom 9 mm wollte ohnedies nicht mehr recht, sie hatte alle Augenblicke Ladehemmung. Auch Verpflegungsvorräte und Rauchwaren waren hier noch reichlich vorhanden. wenn auch in der Nacht eine ganze Menge verbrannt war. Überhaupt, was die Verpflegung anbelangt, wenn ich an die vollen Kühlhallen im Schlachthof denke, die den Russen in die Hände fielen! Meiner Ansicht nach hätte Breslau rein verpflegungsmäßig sich mindestens ½ Jahr halten können. Aber mit der Munition sah es miserabel aus! Was über den Luftweg hereinkam, war entschieden zu wenig, denn mindestens die Hälfte aller Transportmaschinen wurde abgeschossen, ob sie nun wie anfangs, auf dem Gandauer Flughafen landeten oder später auf der Friesenwiese Versorgungsbomben abwarfen. In viel Fällen öffneten sich auch die Fallschirme nicht und die Bomben zerschellten samt Inhalt am Boden. In der Kaiserstraße wurde wohl gegen Ende ein Rollfeld geschaffen, indem sämtliche Häuser an der Straße, woweit sie noch standen, niedergelegt wurden. Aber für schwere Transportmaschinen war dieses Rollfeld ungeeignet. Lediglich Herr Gauleiter Hanke hatte einen Vorteil davon, indem er sich in der Nacht vor der Übergabe als Unteroffizier verkleidet mit einem Fieseler Storch aus der bedrängten Stadt stahl.
Als ich wieder zurückkam zu meinen Leuten, war hier auch schon alles auf dem Sprung. In der Nacht hatte der Russe die eine, durch Volkssturm aufgefüllte Kompanie zurückgeworfen und saß nun in deren Stellung drin, sämtliche Nachbarkompanien bedrohend. Links von uns in der Frankfurter Straße in Richtung Striegauer Bunker hörte man starken Gefechtslärm. Dennoch mußte ich nocheinmal zur Regimentshauptfunkstelle zurück, da in meinem Gerät eine Röhre ausgefallen war und somit keine Funkverbindung. Als ich wieder auf dem Rückweg war, drang der Russe schon über den Sturmführer-Deming-Platz, (früher Tschepiner Platz) über Alsen-Andersenstraße vor. Hier traf ich einen bekannten Feldwebel, der mir ganz komische Sachen berichtete. Demnach sollen in der Westendstraße, die auf den Sturmführer-Deming-Platz führte, sowie in der Alsen- u. Posener Str. deutsche Soldaten gestanden haben, bewaffnet mit 08 bzw. MP, mit EK, Sturmabzeichen und. Anderem behangen, die unsere Leute in Richtung Iwan eingewiesen hätten (unsere Leute haben anscheinend nach dem Regimentsgefreiten Std. gefragt). Bei genauerem Hinsehen hätten diese Männer am linken Arm eine weiße Armbinde getragen, schwarz-weiß-rot eingefaßt mit der Aufschrift „Nationalkomitee Freies Deutschland“. Einer von ihnen mit Offiziersrang sei sofort umgelegt worden. – Heute die Wahrheit zu ergründen, dürfte schwierig sein, denn niemand wills gewesen sein! Jedenfalls sollen nach anderen Berichten einige von diesen Leuten in Breslau von uns sogar geschnappt worden sein.
Nach Einbau der Ersatzröhre war mein Gerät wohl wieder einsatzbereit, aber wir kamen kaum zum Funken, denn es ging jetzt Schlag auf Schlag. Punkt 17.30 Uhr ließ der Iwan ein wahres Trommelfeuer auf uns niedergehen. Von rechts kamen kurz drauf schon die ersten Verwundeten, und dann riß der Strom der Zurückgehenden nicht mehr ab. Was vorne nicht verwundet wurde, erwischte es mit ziemlicher Sicherheit auf dem Weg nach hinten. Schlag 18.00 Uhr hörte man das Urrägebrüll der Iwans. Sie kamen mit Panzerunterstützung über. Über Funk erhält das Bataillon den Befehl zum Zurückgehen und Auffangstellung in Schießständen, wo Stellungen und Bunker angelegt waren, zu beziehen. Dahin zogen wir uns nun zurück im stärksten Werferfeuer. Weit bin ich allerdings nicht gekommen. Ca. 200 Meter hinter unserem verlassenen Gefechtsstand kracht eine Granatwerferlage auf den Rand des Laufgrabens. Der vor mir gehende Mann, ein Melder des Bataillons fällt, mich selbst erwischt ein Splitterregen an der linken Wade. Das auf den Rücken hängende Funkgerät hat sich hier als Lebensretter bewährt, denn es fing die Hauptmasse der Splitter auf. Einige drangen wohl durch und blieben in meinem Rücken stecken, aber gefährlich waren sie nicht. Das Gerät war auf alle Fälle unbrauchbar, denn es war durchsiebt. Ich selbst war auf der Hinterhand lahm. Ich kroch wohl noch bis zur Straße, unter welcher der Laufgraben durchging, aber weiter kam ich nicht, denn der Wall zu den Schießständen lag unter MG- und MP-Feuer und mußte in raschem Sprung erklommen werden. Auch hier hat es manchen Kameraden noch erwischt.
So machte ich mir aus dem kaputten Gerät eine Brustwehr und pfefferte aus meiner Beretta auf einige allzu voreilige Iwans. Der Erfolg war, daß sich kein Iwan hertraute, ich und noch ein Kamerad, der sich inzwischen eingefunden hatte, aber Granaten eingedeckt wurden. Bei Dunkelheit krochen wir dann den Hang hinauf in die Stellung. Unsere Leute hatten uns wohl liegen sehen, konnten uns aber nicht helfen, da der Russe sich mit Scharfschützen eingeschossen hatte. Dies war am 25. April 1945.
Noch in der Nacht, nachdem sich das russische Artilleriefeuer etwas beruhigt hatte, wurde ich mit anderen Verwundeten zum Wachtplatz gefahren. Im Lazarett ließ ich mich lediglich neu verbinden und humpelte dann in die Stadtbibliothek am Roßmarkt, wohin die Hauptfunkstelle verlegt worden war. Der Regimentsgef. Std. bezog am anderen Morgen im Bunker des Schlosses seinen Gefechtsstand.
Bis zum 6. Mai machte ich Dienst beim Regimentsstab, allzuviel gab es ja nicht zu tun, jeder fühlte, daß es dem Ende zu ging. seinen Gefechtsstand. Zu allem sickerten Gerüchte durch, wonach der Festungskommandant General der Infanterie Niehoff mit dem Gegner über Kapitulation verhandle. General Niehoff hat v. Ahlfen gegen Ende März abgelöst. V. Ahlfen gelang es noch, aus der Festung auszufliegen. Es wurde erzählt, er sei ebenso wie Krause in BerIin gehängt worden. von Ahlfen lebt aber heute noch, ich habe ihn im Juli 1953 bei dem Ulmer Pioniertreffen gesprochen.
Am Abend des 6. Mai erfahren wir, daß die Festung Breslau kapituliert hat. Kurz zuvor erhalten wir von den Oberbefehlshaber Gen.Feldm. Schörner einen Funkspruch, in dem er der tapferen Besatzung von Breslau seinen Dank ausspricht, sie aus seinem Oberbefehl entläßt und ihr den Durchbruch oder die Kapitulation freistellt. Da ein Durchbruch nur mit ungeheuren Verlusten für Soldaten und Zivilisten verbunden wäre, wurde kapituliert.
Die von dem Oberbefehlshaber der 6. sowjetischen Armee, Gen.Lt. Glusdowskij und dem Kommandanten der Festung, Gen.d.Inf. Niehoff unterzeichneten Kapitulationsbedingungen besagen, daß die Kampfhandlungen am 06.05.45 um 13.00 Uhr deutscher Zeit einzustellen seien, daß den Offizieren die blanke Waffe (Degen oder Dolch) belassen bleibe, Unteroffizieren und Mannschaften werden ihre Auszeichnungen belassen uno das persönliche Eigentum garantiert. Den Verwundeten wird Hilfe aus Sanitätsmitteln der Roten Armee gewährt, SS wird der Wehrmacht gleichgestellt. Den Zivilisten werden normale Lebensbedingungen und ihr persönliches Eigentum garantiert. Die Besatzung der Festung Breslau hat ihre Waffen und das gesamte Kriegsgerät in dem Zustand, wie es z.Z. der Kapitulation war, zu übergeben, (also nachträgliche Zerstörung durfte nicht vorgenommen werden). Diese Bedingungen wurden von deutscher Seite so weit als irgend möglich strikt durchgeführt. Weiter garantierte der Russe der Besatzung sofortige Heimkehr nach Kriegsende. Wie sehr sich der Russe an diese Kapitulationsbestimmungen hielt, sollte die Zukunft zeigen.
Am 6. Mai 1945 stellte sich das Regiment Mohr auf den Schloßplatz zum Abmarsch auf. Zuvor gingen die Unteroffiziere die Reihen durch und kontrollierten, ob sämtliche Waffen abgelegt waren. Ich hatte mir kurz vor den Abmarsch, während andere die Verpflegungslager ausräumten, einen Stock gesucht und humpelte mit dem Regiment. Es war ein schaurig schöner Anblick, als wir in der Nacht das brennende Breslau über die Straße der SA (Kaiser-Wilhelm-Straße) verließen. Die ganze Strecke bis beinahe nach Klettendorf war von russischen Soldaten eingesäumt, dahinter waren schwere russische Panzer aufgefahren.
In Klettendorf in der Zuckerfabrik blieben wir 2 Tage liegen, dort berichteten uns Klettendorfer Frauen von den Vergewaltigungen durch die Russen. Schon während der Festungszeit erfuhren wir von Landsern, die sich von Striegau zu uns durchgeschlagen hatten, von den Heldentaten der Russen in Striegau. Mögen Herr Molotow, Herr Chrustschow oder Herr Bulganin es heute ableugnen, die Schandtaten der Roten Armee in Striegau und in den deutschen Ostgebieten sind mit blutigen Lettern in der Geschichte eingetragen.
Von Klettendorf aus ging der Propagandamarsch drei Tage lang über Ohlau und das RAD-Lager Jeltsch nach Fünfteichen. Dort war während des Krieges ein Gefangenenlager, dessen Insassen in dem „Bertawerk“ von Krupp in Markstätt arbeiteten. Dieses Lager bezogen nun wir. Fünfteichen selbst liegt nur einige wenige Kilometer von Breslau entfernt und hätte auf direktem Weg in einen Tag bequem erreicht werden können. Aber der Iwan wollte mit uns eine Schau veranstalten nach dem Motto „Die besiegten Nazis“. Andere Einheiten aus Breslau kamen in das Lager Hundsfeld, darunter auch die höheren Offiziere.
In Fünfteichen jagte eine Filzerei die andere. Landser, die zwei Jacken, Pullover oder Hosen hatten, selbst solche, die ein zweites Paar Socken hatten, wurden die doppelten Kleidungsstücke hierbei los. Hatten uns die russischen Posten auf der Kaiser-Wilhelm-Straße gefragt „Kamerad, Postol jest?“, so fragten sie jetzt „Kamerad, nix Uhr, nix Stylograph (Füllhalter)“. Sie nahmen, was sie brauchen konnten. Ende Juli 1945 begann für uns der Marsch bzw. die Bahnfahrt in die moderne Sklaverei, aus der es für die meisten von uns kein Zurück mehr gab.
Военнопленный довай “ (Kriegsgefangener, komm schon)
In der Nacht von 10. zum 11. Januar 1945 prasselten die ersten sowjetischen Bomben auf die bis dato vom Krieg noch ziemlich unberührte Stadt. Am Vormittag des 14. Januar fahre ich mit einem Kommando in die Wohnung des Hauptmann Dziallas vom Gen.Kdo. und räume dort. Das Nachbarhaus von ihm in der Güntherstraße ist ziemlich mitgenommen durch den Luftangriff. Wie wir gerade beim Räumen sind, erfahren wir durch einen anderen Offizier von dem Durchbruch der Russen im Baranowbrückenkopf. In den folgenden Tagen wird der gesamte Standort Breslau unter dem Kommando des Standortältesten Generalmajor Krause zum Schanzen und Bau von Panzergräben eingesetzt. INEK 28 ist in der Gegend von Klarenwalde eingesetzt. Am 21. Januar wird Breslau zur Festung erklärt.
Gleichzeitig wird bekanntgegeben, daß Posen, Neisse, Glogau und andere Städte ebenfalls diesen zweifelhaften Ruhm erlangt haben. Mit der Festungserklärung sind naturgemäß Ausnahme- und. Kriegszustand verbunden, dementsprechend auch verschärfte Gesetze. Standgerichte schossen wie die Pilze aus dem Boden. Auf dem Breslauer Hauptbahnhof herrscht ein fürchterliches Gedränge. Alles versucht, mit den letzten Zügen aus der Festung zu kommen. Zwischen den Zivilisten taucht SS. und Wehrmachtstreife auf mit der Aufgabe, das Entweichen einsatzfähiger Soldaten aus der Festung zu verhindern. – Aber nicht nur der Breslauer Bahnhof ist Schauplatz eines fürchterlichen Gedränges, auf den Ausfallstraßen der Stadt ist es beinahe noch schlimmer. Streckenweise sind sie verstopft mit Flüchtlingen aus Oberschlesien und den anderen Gebieten östlich der Oder. In Breslau scheint es blutiger Ernst zu werden. In aller Eile wird ein Teil des Gen.Kdo. VIII verladen und nach Hirschberg gebracht. Von durchkommenden Verwundeten hört man schon von Kämpfen in der Gegend von Tschenstochau. Russische Panzer sollen schon in der Gegend von Gleiwitz und Oppeln aufgetaucht sein.
In Breslau wird der Volkssturm unter die Waffen gerufen, vorerst allerdings nur, um unter der Anleitung von Pionieren Barrikaden aufzubauen. Aus den in Breslau liegenden Ersatzeinheiten werden die Festungsregimenter Mohr, Reinkobler und Sauer, aus den SS-Einheiten wird das SS-Regiment Beslein gebildet. Später wird noch aus den zurückkommenden Einheiten der Kavallerie-Ersatzabteilung 8 das Regiment Hanf, und aus den Männern der Luftwaffenkriegsschule das Regiment Wehl aufgestellt. Währenddessen rollt die Panzertruppe des Grafen Strachwitz durch Breslau in Richtung Oels. Aus anderer Richtung kommt eine vollständige Infanteriedivision 269 zum Einsatz in Richtung Oels. An schweren Waffen steht das Artillerie-Regiment Siebert zur Verfügung, einige RAD-Flakbatterien und ein paar leichte Panzer, die in Breslau zur Reparatur waren. Als Verstärkung der Heereseinheiten wird unter Befehl des Gebietsführers Hirsch einige HJ=Volkssturmbataillone aufgestellt.
Ich selbst marschiere mit einem Teil meiner Funker nach Breslau-Carlowitz in die Hindenburgkaserne, wo von Stabswachtmeister Vandrey vom KR8 ein Nachrichtenzug für das Bataillon Tilgner (Regiment Mohr) zusammengestellt wird. Am nächsten Tag werden wir in diesem Bataillon unterstellt, das seinen Gefechtsstand in der Vereinigten Glanzstoffabrik in Friedewalde hat. Die Kompanien des Bataillons liegen bei Güntherbrücke (Schwoitsch) und Hundsfeld, unser äußerster Posten liegt in der Brauerei Sakrau. In Güntherbrücke bei Schwoitsch ist auch eine RAD-Flakbatterie stationiert. Im großen Ganzen kann man sagen, daß unsere Sicherung nach Osten wohl die beste in ganz Breslau war (der russische Angriff wurde ja aus dieser Richtung erwartet).
Am 24.1. kommt die Meldung, daß der Iwan OeIs genommen hat. Die Inf.Div., die wir durch Breslau rollen sahen, wurde im russischen Feuer auf dem Oelser Bahnhof ausgeladen. Kurz drauf kommen auch die ersten Landser bei unserem vordersten Posten in Sakrau an. sie erzählen ziemlich tolle Sachen von Oels. So soll auf dem dortigen Flugplatz eine startbereite, vollaufgetankte und aufmunionierte Düsenjägerjagdstaffel den Russen in die Hände gefallen sein. Starke Kämpfe seien bei der Richthofenkaserne gewesen, dort habe ein ganzer Zug von lauter Wachtmeistern des K.R.8 im Gefecht gelegen.-
In der Gegend von Sybillenort hat eine Fernpatrouille von uns die erste Feindberührung. Lange kann es dann ja nicht dauern, bis die ersten eisernen Grüße vom Iwan zu uns rüberfliegen. den Tag drauf schmeißt der Iwan unsere Leute aus Sakrau heraus und befunkt uns von dort mit der ratsch-Bum. Sonst unternimmt der Iwan außer kurzen Spähtrupps aber nichts.
Anfang Februar wird die unter meiner Führung stehende Regimentsfunkstelle in Friedewalde abgelöst. wir werden zum Regiment nach Oswitz zurückgerufen und bilden die Hauptfunkstelle. In Oswitz haben wir eine verhältnismäßig ruhige Zeit, während auf Breslau selbst Tag und Nacht Bomben regnen. Eines Tages nähert sich aus östlicher Richtung ein Flugzeuggeschwader. Beim Näherkommen wird. festgestellt, daß das gänzlich schwarzgestrichene Geschwader in verhältnismäßig niedriger Höhe den uns gegenüberliegenden Gandauer Flughafen anfliegt. Aus den Maschinen lösen sich Gegenstände, die sich als rote Fallschirme entwickeln. Von allen Seiten wird ein heftiges Gewehr- und MG-Feuer auf die Maschinen eröffnet. Erst zuletzt erkennen wir sie als He 111, die versorgungsbomben abladen. In die Oswitzer Zeit fällt auch die vollständige Einschließung Breslaus, Erschießung des 2. Bürgermeisters der Stadt vor dem Rathaus durch Volkssturm am 28.1. und die Ablösung des Festungskommandanten Generalmajor Krause durch den Oberst v. Ahlfen (Früher Kompaniechef beim Pionierbataillon 5 in Ulm). V. Ahlfen wird Generalmajor, Krause wird nach Berlin ausgeflogen und soll angeblich gehängt worden sein. Vom Russen wird die Stadt jetzt außer den zur Gewohnheit gewordenen Luftangriffen noch unter Beschuß durch schwere Eisenbahngeschütze (17,2 cm und 28 cm) genommen. Leider können wir nicht erwidern, da es uns vollständig an Munition für die schweren Waffen fehlt. Auch Luftangriffe auf die russischen Stellungen durch deutsche Bomber sind. sehr selten. Ab und zu sieht man mal eine Staffel Messerschmidt, aber die sind bald wieder weg. Aus beschädigten Panzern der Panzergruppe des Grafen Strachwitz, die nach Breslau gebracht wurden, werden sogenannte Jagdpanzer hergestellt. Auch einige ältere P 4-Fahrgestelle, die im Zeugamt, bzw. in der Jahrhunderthalle lagerten, werden zu Jagdpanzern aufgerüstet. Diese Panzer sind meist mit 2-cm-Zwillingsflak ausgerüstet, aus denen Brandmunition geschossen wird. Wir konnten, obwohl anfangs skeptisch, beobachten, daß geschickter Einsatz dieser Panzer manchem russischen Koloß zum Verhängnis wurde. (So bei den Schrebergärten).
In den ersten Märztagen wird das Regiment in Oswitz durch Volkssturm abgelöst, wir kommen ins Postamt 10 Matthiasstraße. Das ist eine bißchen windige Ecke. Dicht beim Postamt 10 liegt der Elbingbunker (gegenüber der Jungfrauenkirche, 200 Meter westlich vom Waterlooplatz), voll mit Verwundeten. durch indirekten Beschuß mit Ratsch-Bum hat der Russe hier so manchen Treffer auf die Lüftungsöffnungen erzielt und unter den Verwundeten aufgeräumt. Wie sich später herausstellte, hat der Iwan seine Schußwerte durch eine in der Nähe des Elbingbunkers sitzende Spionagegruppe mit Funkgerät erhalten. Als man die Gruppe ausheben wollte, war das Nest leer. Auch so etwas soll in einer Festung vorkommen.
Bei Tag konnte man sich zeitweilig überhaupt nicht aus dem Keller des Postamtes heraustrauen, da der Russe in rollendem Einsatz mit Tieffliegern die ganze Gegend. beharkte, hauptsächlich die Matthiasstraße aus Richtung Universität. Im Rundfunk wird in jenen Tagen vom Sender Leipzig die Meldung durchgegeben, der Süden der Stadt sei freigekämpft worden, sämtliche Zivilisten sollen die Stadt verlassen. Erst zu spät, nachdem bereits eine ganze Anzahl Frauen und Kinder dem Russen in die Fänge gelaufen ist, erkennt man, daß der Russe diese Meldung auf der Wellenlänge des Reichssenders Leipzig durchgegeben hat. Tatsächlich wurde ja der Einschließungsring weder im Süden noch sonstwo von deutschen Truppen aufgebrochen. Anfang März erfolgte meine Versetzung zum Festungsnachrichtenstab in der Vorwerkstraße. In der Stadt hängen überall Plakate mit dem Aufruf, daß sich Posen schon 3 Wochen halte, und daß Breslau Posen nicht nachstehen würde. Die Festungskommandantur hat sich in den Bunkern auf der Liebighöhe eingerichtet. Wer die reizenden Anlagen der Liebighöhe aus Friedenszeiten kennt, kann sich vielleicht kein Bild machen, wie es dort nach Breslaus Kapitulation ausgesehen haben mag. Daß die Liebighöhe als Herz Breslaus magnetische Kraft auf sowjetische Bomben und Granaten ausübte, läßt sich ja denken.
Der Russe hatte jetzt seine Angriffe auf den Süden der Stadt forciert. Aus der Richtung Klettendorf schob er sich über die Umgehungsbahn immer dichter an die Stadt heran. In Südpark spielen sich heftige Kämpfe ab, bei denen 2 Bataillone HJ sich sehr tapfer schlägt. Der Russe wird zurückgeworfen, stürmt aber kurze Zeit später mit ungeheurer Übernacht und Panzerunterstützung wieder an.
Es entwickeln sich heftige Kämpfe in der Hohenzollernstraße, in der Straße der SA (Kaiser-Wilhelm-Straße), am Reichspräsidentenplatz (Hindenburgplatz), in der Goethe-, Viktoria- und Gabitz-Straße. Die Straßenbahnremisen und die Kürassierkaserne, sowie das Generalkommando in der Hardenbergstraße fallen in russische Hände. In dieser Gegend herrschen oft die verrücktesten Frontverhältnisse. Oben im Haus sitzen deutsche Landser, während unten in Keller der Russe durch die Mauerdurchbrüche eindringt und mit erbeuteten deutschen Panzerfäusten den schönsten Rabatz macht. Es ist nicht immer einfach, ihn wieder rauszuwerfen.
Mitte März werde ich zum Stab des Rgt. Mohr versetzt. Das Regiment liegt am Elferplatz in der Nähe des Freiburger Bahnhofs. Im alten Freiburger Bahnhof ist die Regimentshauptfunkstelle untergebracht. Hier sammelt sich auch eines Tages das durch Transportmaschinen in die Festung geworfenen Fallschirmjägerabteilung Hacker. Es sind großteils junge Leute, die im Brennpunkt der Kämpfe, nämlich in der Goethe-, Gabitz- und Viktoriastraße zum Gegenstoß antreten sollen. Kaum sind die Fallschirmjäger abmarschiert, rollt ein sowjetischer Tieffliegerangriff über den alten Freiburger Bahnhof hinweg. Ich stehe gerade im Eingang und kann beobachten, wie die Bomben fallen. Wie ich die Kellertreppen hinunterkam, weiß ich nicht mehr, jedenfalls geschah es mit einen fürchterlichen Schrei: „Achtung Bomben, volle Deckung!“ Gleich drauf kracht es, ich werde in dem engen Gang unter einem umstürzenden Aktenschrank der Reichsbahn begraben. AIs ich wieder zu mir kam, bin ich unter dem Aktenschrank und Trümmern fest eingeklemmt. Mit aller Mühe versuche ich mich rauszubuddeln, aber immer wieder nachrutschender Schutt macht meine Mühe vergebens. Endlich, nach unheimlich langer Zeit werde ich durch Landser rausgeholt. Durch den Angriff wurde die gesamte Hauptfunkstelle außer Gefecht gesetzt. Mehrere Tote, darunter nach auch Zivilisten (Frauen und Kinder) waren zu beklagen.
Regiment Mohr wird nach Pilsnitz verlegt. Am hellen Tage marschieren wir unbelästigt von feindlichen Fliegern die Frankfurter Straße entlang. In der schlesischen Blindenanstalt bezieht Major Mohr seinen Gefechtsstand. Ich werde zum Bataillon Tilger (das anfangs dem Regiment Sauer angehörte, jetzt aber beim Regiment Mohr war) abkommandiert. In Pilsnitz, in dem zuerst SS lag, beziehe ich nach Meldung bei Major Tilgner mit meinen Leuten (insgesamt 10 Mann, Unteroffizier Jung, Gefreiter Günther Ellguth, Schütze Otterbach – die anderen Namen sind mir entfallen) in der Udetstraße Quartier. Da die Funkverbindung hier aber sehr schlecht ist, verlege ich am anderen Tag dicht neben den Btl.-Gef.Std. in die Bäumlerstraße.
Links von uns in Schmiedefeld liegt das Bataillon Friz, dicht am Gandauer Flughafen. Unsere Kompanien liegen an der Lohe (kleiner Bach) und in Lohebrück, die Reservekompanie liegt in der Ziegelei 300 m vor uns. Links ist die sogenannte John‘sche Brüterei.
Einige Tage herrscht in Pilsitz herrliche Ruhe, während in Breslau selbst die Hölle los ist. Doch auch die Stille bei uns war eine Ruhe vor dem Sturm. Der Iwan befunkte uns ganz überraschend mit schweren 17,2 cm und 28 cm Eisenbahngeschützen. So ein Einschlag riß die leicht gebauten zwei- bis dreistöckigen Reihenhäuser glatt durch. Auf dem Richthofenplatz in Pilsnitz fanden wir einen Blindgänger, gut mannsgroß und mannsdick, meiner Schätzung nach 21-28 cm Eisenbahngeschütz. Wie mir ein Feuerwerker erzähte, soll in einem derartigen Blindgänger, anstelle eines Sprengsatzes ein Zettel gewesen sein mit folgender Aufschrift: „Mehr können wir für Euch nicht tun! Eure Kammeraden“. Wie gesagt, ich habe es selbst nicht gesehen! Es war kurz vor dem Karfreitag, so um den 28. März rum. Ich stehe am Spätnachmittag gerade vor der Funkstelle. Zur Kennzeichnung hatten wir außen ein Plakat mit einem Blitz angebracht. Plötzlich krachts und staubts an der Hauswand und das Plakat segelt herunter. Mit einem Sprung bin ich die Treppe runter, schnappe mein Fernglas und sehe mir die Gegend an, da kommen ja auf der Straße von der John’schen Brüterei her Iwans! Langer brauner Mantel, auf dem Kopf zum Teil Stahlhelm oder Schiffchen, auf dem Rücken grünbrauner Rucksack. Ich telefoniere zum Gefechtsstand rüber, die sind ganz erstaunt und meinen, das werden wohl deutsche Landser sein. Na, dann paßt mal auf, wie die sogenannten deutschen Landser jetzt hopsen werden, sage ich, schnappe meine italienische Beretta-MP und jage einen langen Feuerstoß in die Russen rein. Jetzt werden sie auch in Gefechtsstand munter und gehen den Iwan mit Sturmgewehren an. Ein Melder des Bataillons fällt dabei. Wie wir später feststellen, sind die Russen unter Umgehung der Reservekompanie durch die John’sche Brüterei geschlichen und wollten uns kassieren. Pech gehabt, daß ich gerade vor dem Bau stand und sch..... gehen wollte. Rechts von uns waren sie schon bis zum Richthofenplatz in die Stellung der Inf.Geschütze eingedrungen. Dort hat es einen kurzen heftigen Nahkampf gegeben, bei dem alle Russen vernichtet wurden. Bei uns wurden einige Gefangene gemacht. Wie sie allerdings durch unsere Stellungen hindurchkamen, blieb ungeklärt.
Am Abend des Karfreitages ging dann der „Karfreitagszauber“ los. Aus allen Knopflöchern knallte der Iwan. Unsere Kompanien mußten sich zurückziehen. Wir erhalten per Funk den Befehl, die Stellung hinter den Richthofenplatz zurückzunehmen. Der Russe drückt mit Panzern. In den Kellerfenstern der Häuser am Richthofenplatz wird 2 cm Flak 38 auf einem schlittenartigen Lafettengestell und tschechische Skoda-Pak in Stellung gebracht. Wie ich gehört habe, soll diese auch einige Panzer abgeschossen haben, dann aber selbst in Fetzen geschossen worden sein. Am Ostermontag hat der Druck etwas nachgelassen, wir mußten aber feststellen, daß der Russe unser Nachbarbataillon Friz am Gandauer Flughafen stark bedrängte. Dieses Bataillon hatte auf der freien Fläche des Flughafengeländes sehr starke Verluste. Über Funk kam an Major Tilgner der Befehl, aus dem Bataillonen Tilgner und Friz, sowie aus dem auf dem Gandauer Flughafen liegenden Bodenpersonal, der in Pilsnitz liegenden Flak und Artillerie die Kampfgruppe Tilgner zusammenzustellen und Pilsnitz solange als möglich zu halten.
In der Nacht vom 3. auf 4. April macht ein von uns ausgesandter Spähtrupp die Feststellung, daß der Russe mit starken Kräften hinter dem Gandaurer Flughafen über den Judenfriedhof auf die Coseler Pionierkasernen durchgestoßen ist. Die Coseler Pionierkasernen liegen dicht an der Oder. Es hieß also mit anderen Worten, daß wir von Breslau abgeschnitten waren, denn an drei Seiten saß jetzt der Iwan, auf der 4. Seite, nämlich in unserem Rücken floß die Oder und trennte uns von Oswitz, in das der Russe noch nicht eingedrungen war. Da unsere Funkunterlagen am 3. April um 24 Uhr abgelaufen waren, versuchte ich in den Vormittagsstunden des 4. April per Fahrrad nach Breslau zu gelangen in der Hoffnung, daß sich unser Spähtrupp getäuscht habe. Kurz nach den letzten Häusern von Pilsnitz aber (ich fuhr mit dem Rad so schnell als möglich) bekam ich bereits Panzerbeschuß und nach einigen 100 Metern starkes MG-Feuer, so daß ich im ca. 25-Km-Tenpo in den Straßengraben fuhr, dort erst mal meinen Wadendurchschuß verband, dann das zerschossene Fahrrad liegenließ, und mich in Graben zurückschlich, so gut und so schnell es ging. Der neue Funkschlüssel wurde uns dann auf dem Funkweg (unter mehrmaligen Wellenwechsel zwecks Irreführung des Gegners) unter Benützung der alten Funkunterlagen übermittelt. Und nun jagt ein Funkspruch den anderen. Die Kampfgruppe Tilgner hat Pilsnitz unter allen Umständen bis 22 Uhr zu halten. Um 22 Uhr hat sich die gesamte Kampfgruppe über die Ransener Schleuse abzusetzen. Schwere Waffen, die ja nicht mitgenommen werden können, sind unbrauchbar zu machen.
In der Abenddämmerung werden sämtliche Flak, Pak, LIG 18, einige 10,5 cm/LFH 18 bis auf 2 oder 3, die gegen evtl. angreifende Panzer an Ort und Stelle sichern müssen, an die Oder gebracht, dort soweit als möglich auseinander genommen und versenkt. Die restlichen Geschütze müssen nach dem Absetzen gesprengt werden. Punkt 22 Uhr beginnen die Absetzbewegungen. Den Zivilisten bleibt es freigestellt, mit uns zu kommen oder nicht. Bis wir an der Ransener Schleuse waren, war es nach 23 Uhr. Und nun wurde es uns allen klar, warum keine schweren Waffen mitgenommen werden konnten. Selbst der LMG waren hinderlich. Man mußte zunächst eine eiserne Leiter ca. 5 m hoch erklettern, dann kam eine enge Öffnung, durch die sich gerade ein Mann ohne Ausrüstung durchdrücken konnte. Die MG‘s wurden an Stricken heraufgezogen, ebenso die Funkgeräte. Es wundert mich heute noch, daß der Russe die Schleuse nicht unter Feuer genommen hat, denn das Trappeln der nagelbeschlagenen Stiefel auf dem eisernen Steg mußte ja in der Nacht ziemlich weit zu hören sein. Die ganze Absetzbewegung hat aber unter einem glücklichen Stern gestanden. Nur einmal auf dem Marsch zur Schleuse krachte von den Coseler Kasernen eine Panzerkanone zu uns herüber, deren Leuchtspurgranate uns aber hoch überflog. Der einzige Tote, den wir hatten, war eine junge Frau, die trotz Warnung aus der Reihe tanzte und prompt auf eine eigene Mine lief. Das ganze Gelände an der Oderniederung wurde bis auf einen schmalen Pfad am 4. April vermint, um ein rasches Nachstoßen der Russen zu verhindern.
So gelangten wir im Morgengrauen des 5. April wieder nach Oswitz, das ich vor einem Monat mit meinen Leuten verlassen hatte. Aber wie sah dieses Ostwitz heute aus! Sämtliche Häuser waren restlos zerstört. Der Iwan mußte hier nicht wenig Bomben abgeladen haben. Von Oswitz aus marschierten wir über die Posener Brücke, deren eine Seite gegen Feindsicht mit Rupfen zugehängt war, wieder nach Breslau zurück. Kaum waren wir über die Oder, brausten auch schon die ersten Bomberverbände über die Stadt und luden ihren Segen ab. Unser Ziel war die Polizeikaserne (ehemalige Kaserne der 5liger) in der 5liger Straße, früher Lange Gasse. Ganz in der Nähe der Polizeikaserne lag auch das Heereszeugamt (am Sturmführer-Demmig-Platz). Viel Ruhe hatte man mir aber nicht gelassen in der Polizeikaserne. Ich wurde nach zwei Stunden bereits zum Bataillon des Ritterkreuzträgers Hauptmann Grehl abkommandiert.
Das Bataillon Grehl lag in der Malapanestraße, seine Kompanien lagen in der Lomnitz-, Bober- und Queisstraße. In unserem Gefechtsstand in der Blindenanstalt lag jetzt der Russe. Er muß dort überschwere Granatwerfer und Stalinorgeln stehen haben, denn wir bekamen aus dieser Richtung starkes Feuer. Auf dem Weg zum Bataillon Grehl kam ich auch wieder durch die Frankfurter Straße. Als wir nach Pilsnitz verlegt wurden, war die Frankfurter Straße noch unbeschädigt, jetzt war sie total ausgebrannt, die gesamten Geschäfte und Häuser waren restlos zerstört. - In der Lomnitzstraße, wohin Hauptmann Grehl seinen Gefechtsstand verlegte, waren wir schweren Luftangriffen ausgesetzt. Der Russe belegte mit einer phantastischen Exaktheit unsere vorderste Linie mit Bomben, obwohl seine eigene HKL nur Straßenbreite entfernt war. Dabei machten wir zum ersten Mal Bekanntschaft mit den Kettenbomben. Vorneweg fliegt eine Zementbombe, an die 2-3 Sprengbomben angekettet sind. Die Zementbombe haut durch ihre Wucht das ganze Haus durch bis in das Untergeschoß, wo dann die Sprengbomben zur Detonation kommen und so den ganzen Keller eindrücken. Dadurch verliert die eine Kompanie einen ganzen Zug.
In der Queisstraße ging mir auch ein Funkgerät verloren, die Funker konnten sich gerade noch retten. Während die Funker vor ihrem Gerät saßen, drang der Russe durch einen Mauerdurchbruch in den Keller ein, meine Funker sprangen im letzten Augenblick durch den Notausstieg in den Hof und schossen eine Panzerfaust in ihren Keller. Dadurch ging mit den Russen auch unser Funkgerät zum Teufel. Allmählich jedoch drückte uns der Russe zurück bis in den Schlachthof, nachdem er kurz zuvor in die auf unser linken Flanke liegende Schmidt‘sche Teerfabrik eingedrungen war. Aus dem Schlachthof wurde ich nach zwei Tagen abberufen, und zu einem Bataillon, das in den Schrebergärten lag, abkommandiert. Eines morgens kam unser Arzt, Dr. Richter zu uns. Er erzählte, daß er aus den Hausruinen an der Frankfurter Straße starkes MG-Feuer erhalten hätte. Ich bin dann gegen Mittag mit ihm zurück, um die neuen Funkunterlagen zu holen. Durch die ganzen Schrebergärten zogen sich Annäherungs- und Laufgräben, die aber meist nicht benützt wurden, weil sie voll mit Dreck und Wasser waren. So auch jetzt, und beinahe hätte es uns alle beide erwischt. Eine MG-Salve pfiff ein paar Zentimeter vor uns in den Dreck. Da verschwanden wir mit einem Satz in den Dreck des Laufgrabens.
Kurz vor der Polizeikaserne ging die Oelser Bahnlinie vorbei, die Straße führte durch eine Unterführung. Hier waren Frauen zum Schanzen eingesetzt. Auch an diesem Tag waren die Frauen wieder draußen beim Schanzen. Punkt 18 Uhr setzte ein Feuerüberfall des Russen auf die Polizeikaserne und das davorliegende Gelände ein, daß man sich nicht traute, die Nase zum Kellerloch herauszustecken. Die ersten Einschläge lagen mitten unter den schanzenden Frauen. Es gelang nur wenigen der rettende Sprung über den Bahndamm zur Kaserne. Da der Aribeschuß immer stärker wird, kann ich nicht zurück. Das Regiment verlegt jedoch im stärksten Feuer seinen Gefechtsstand in ein großes Geschäftshaus am Wachtplatz. Ich mache diesen Umzug mit. Auch das Festungskommando hatte inzwischen Stellungswechsel von der Liebighöhe zu den Bunkern in der Universität gemacht. Als der Regimentsgefechtsstand eingerichtet ist, erfahre ich von einem Ordonnanzoffizier von den Kämpfen im Gleisdreieck Frankfurter Straße, die am Tag vorher waren. Dort soll der Russe mit überlegenen Kräften angegriffen haben. Als Verstärkung wurde von uns die Kampfgruppe HJ eingesetzt, welche an diesem Tag nicht weniger als 30 russische Panzer mit der Panzerfaust abgeschossen. Vom Wachtplatz aus gehe ich wieder vor zu meinen Leuten. Unterwegs gehe ich aber noch einmal in die Polizeikaserne, die gerade geräumt wird. Da kommt noch so allerhand an brauchbaren Gegenständen zum Vorschein. Vor allem ergänze ich meine Ausrüstung durch eine neue Sauer-Polizeipistole. Meine alte Radom 9 mm wollte ohnedies nicht mehr recht, sie hatte alle Augenblicke Ladehemmung. Auch Verpflegungsvorräte und Rauchwaren waren hier noch reichlich vorhanden. wenn auch in der Nacht eine ganze Menge verbrannt war. Überhaupt, was die Verpflegung anbelangt, wenn ich an die vollen Kühlhallen im Schlachthof denke, die den Russen in die Hände fielen! Meiner Ansicht nach hätte Breslau rein verpflegungsmäßig sich mindestens ½ Jahr halten können. Aber mit der Munition sah es miserabel aus! Was über den Luftweg hereinkam, war entschieden zu wenig, denn mindestens die Hälfte aller Transportmaschinen wurde abgeschossen, ob sie nun wie anfangs, auf dem Gandauer Flughafen landeten oder später auf der Friesenwiese Versorgungsbomben abwarfen. In viel Fällen öffneten sich auch die Fallschirme nicht und die Bomben zerschellten samt Inhalt am Boden. In der Kaiserstraße wurde wohl gegen Ende ein Rollfeld geschaffen, indem sämtliche Häuser an der Straße, woweit sie noch standen, niedergelegt wurden. Aber für schwere Transportmaschinen war dieses Rollfeld ungeeignet. Lediglich Herr Gauleiter Hanke hatte einen Vorteil davon, indem er sich in der Nacht vor der Übergabe als Unteroffizier verkleidet mit einem Fieseler Storch aus der bedrängten Stadt stahl.
Als ich wieder zurückkam zu meinen Leuten, war hier auch schon alles auf dem Sprung. In der Nacht hatte der Russe die eine, durch Volkssturm aufgefüllte Kompanie zurückgeworfen und saß nun in deren Stellung drin, sämtliche Nachbarkompanien bedrohend. Links von uns in der Frankfurter Straße in Richtung Striegauer Bunker hörte man starken Gefechtslärm. Dennoch mußte ich nocheinmal zur Regimentshauptfunkstelle zurück, da in meinem Gerät eine Röhre ausgefallen war und somit keine Funkverbindung. Als ich wieder auf dem Rückweg war, drang der Russe schon über den Sturmführer-Deming-Platz, (früher Tschepiner Platz) über Alsen-Andersenstraße vor. Hier traf ich einen bekannten Feldwebel, der mir ganz komische Sachen berichtete. Demnach sollen in der Westendstraße, die auf den Sturmführer-Deming-Platz führte, sowie in der Alsen- u. Posener Str. deutsche Soldaten gestanden haben, bewaffnet mit 08 bzw. MP, mit EK, Sturmabzeichen und. Anderem behangen, die unsere Leute in Richtung Iwan eingewiesen hätten (unsere Leute haben anscheinend nach dem Regimentsgefreiten Std. gefragt). Bei genauerem Hinsehen hätten diese Männer am linken Arm eine weiße Armbinde getragen, schwarz-weiß-rot eingefaßt mit der Aufschrift „Nationalkomitee Freies Deutschland“. Einer von ihnen mit Offiziersrang sei sofort umgelegt worden. – Heute die Wahrheit zu ergründen, dürfte schwierig sein, denn niemand wills gewesen sein! Jedenfalls sollen nach anderen Berichten einige von diesen Leuten in Breslau von uns sogar geschnappt worden sein.
Nach Einbau der Ersatzröhre war mein Gerät wohl wieder einsatzbereit, aber wir kamen kaum zum Funken, denn es ging jetzt Schlag auf Schlag. Punkt 17.30 Uhr ließ der Iwan ein wahres Trommelfeuer auf uns niedergehen. Von rechts kamen kurz drauf schon die ersten Verwundeten, und dann riß der Strom der Zurückgehenden nicht mehr ab. Was vorne nicht verwundet wurde, erwischte es mit ziemlicher Sicherheit auf dem Weg nach hinten. Schlag 18.00 Uhr hörte man das Urrägebrüll der Iwans. Sie kamen mit Panzerunterstützung über. Über Funk erhält das Bataillon den Befehl zum Zurückgehen und Auffangstellung in Schießständen, wo Stellungen und Bunker angelegt waren, zu beziehen. Dahin zogen wir uns nun zurück im stärksten Werferfeuer. Weit bin ich allerdings nicht gekommen. Ca. 200 Meter hinter unserem verlassenen Gefechtsstand kracht eine Granatwerferlage auf den Rand des Laufgrabens. Der vor mir gehende Mann, ein Melder des Bataillons fällt, mich selbst erwischt ein Splitterregen an der linken Wade. Das auf den Rücken hängende Funkgerät hat sich hier als Lebensretter bewährt, denn es fing die Hauptmasse der Splitter auf. Einige drangen wohl durch und blieben in meinem Rücken stecken, aber gefährlich waren sie nicht. Das Gerät war auf alle Fälle unbrauchbar, denn es war durchsiebt. Ich selbst war auf der Hinterhand lahm. Ich kroch wohl noch bis zur Straße, unter welcher der Laufgraben durchging, aber weiter kam ich nicht, denn der Wall zu den Schießständen lag unter MG- und MP-Feuer und mußte in raschem Sprung erklommen werden. Auch hier hat es manchen Kameraden noch erwischt.
So machte ich mir aus dem kaputten Gerät eine Brustwehr und pfefferte aus meiner Beretta auf einige allzu voreilige Iwans. Der Erfolg war, daß sich kein Iwan hertraute, ich und noch ein Kamerad, der sich inzwischen eingefunden hatte, aber Granaten eingedeckt wurden. Bei Dunkelheit krochen wir dann den Hang hinauf in die Stellung. Unsere Leute hatten uns wohl liegen sehen, konnten uns aber nicht helfen, da der Russe sich mit Scharfschützen eingeschossen hatte. Dies war am 25. April 1945.
Noch in der Nacht, nachdem sich das russische Artilleriefeuer etwas beruhigt hatte, wurde ich mit anderen Verwundeten zum Wachtplatz gefahren. Im Lazarett ließ ich mich lediglich neu verbinden und humpelte dann in die Stadtbibliothek am Roßmarkt, wohin die Hauptfunkstelle verlegt worden war. Der Regimentsgef. Std. bezog am anderen Morgen im Bunker des Schlosses seinen Gefechtsstand.
Bis zum 6. Mai machte ich Dienst beim Regimentsstab, allzuviel gab es ja nicht zu tun, jeder fühlte, daß es dem Ende zu ging. seinen Gefechtsstand. Zu allem sickerten Gerüchte durch, wonach der Festungskommandant General der Infanterie Niehoff mit dem Gegner über Kapitulation verhandle. General Niehoff hat v. Ahlfen gegen Ende März abgelöst. V. Ahlfen gelang es noch, aus der Festung auszufliegen. Es wurde erzählt, er sei ebenso wie Krause in BerIin gehängt worden. von Ahlfen lebt aber heute noch, ich habe ihn im Juli 1953 bei dem Ulmer Pioniertreffen gesprochen.
Am Abend des 6. Mai erfahren wir, daß die Festung Breslau kapituliert hat. Kurz zuvor erhalten wir von den Oberbefehlshaber Gen.Feldm. Schörner einen Funkspruch, in dem er der tapferen Besatzung von Breslau seinen Dank ausspricht, sie aus seinem Oberbefehl entläßt und ihr den Durchbruch oder die Kapitulation freistellt. Da ein Durchbruch nur mit ungeheuren Verlusten für Soldaten und Zivilisten verbunden wäre, wurde kapituliert.
Die von dem Oberbefehlshaber der 6. sowjetischen Armee, Gen.Lt. Glusdowskij und dem Kommandanten der Festung, Gen.d.Inf. Niehoff unterzeichneten Kapitulationsbedingungen besagen, daß die Kampfhandlungen am 06.05.45 um 13.00 Uhr deutscher Zeit einzustellen seien, daß den Offizieren die blanke Waffe (Degen oder Dolch) belassen bleibe, Unteroffizieren und Mannschaften werden ihre Auszeichnungen belassen uno das persönliche Eigentum garantiert. Den Verwundeten wird Hilfe aus Sanitätsmitteln der Roten Armee gewährt, SS wird der Wehrmacht gleichgestellt. Den Zivilisten werden normale Lebensbedingungen und ihr persönliches Eigentum garantiert. Die Besatzung der Festung Breslau hat ihre Waffen und das gesamte Kriegsgerät in dem Zustand, wie es z.Z. der Kapitulation war, zu übergeben, (also nachträgliche Zerstörung durfte nicht vorgenommen werden). Diese Bedingungen wurden von deutscher Seite so weit als irgend möglich strikt durchgeführt. Weiter garantierte der Russe der Besatzung sofortige Heimkehr nach Kriegsende. Wie sehr sich der Russe an diese Kapitulationsbestimmungen hielt, sollte die Zukunft zeigen.
Am 6. Mai 1945 stellte sich das Regiment Mohr auf den Schloßplatz zum Abmarsch auf. Zuvor gingen die Unteroffiziere die Reihen durch und kontrollierten, ob sämtliche Waffen abgelegt waren. Ich hatte mir kurz vor den Abmarsch, während andere die Verpflegungslager ausräumten, einen Stock gesucht und humpelte mit dem Regiment. Es war ein schaurig schöner Anblick, als wir in der Nacht das brennende Breslau über die Straße der SA (Kaiser-Wilhelm-Straße) verließen. Die ganze Strecke bis beinahe nach Klettendorf war von russischen Soldaten eingesäumt, dahinter waren schwere russische Panzer aufgefahren.
In Klettendorf in der Zuckerfabrik blieben wir 2 Tage liegen, dort berichteten uns Klettendorfer Frauen von den Vergewaltigungen durch die Russen. Schon während der Festungszeit erfuhren wir von Landsern, die sich von Striegau zu uns durchgeschlagen hatten, von den Heldentaten der Russen in Striegau. Mögen Herr Molotow, Herr Chrustschow oder Herr Bulganin es heute ableugnen, die Schandtaten der Roten Armee in Striegau und in den deutschen Ostgebieten sind mit blutigen Lettern in der Geschichte eingetragen.
Von Klettendorf aus ging der Propagandamarsch drei Tage lang über Ohlau und das RAD-Lager Jeltsch nach Fünfteichen. Dort war während des Krieges ein Gefangenenlager, dessen Insassen in dem „Bertawerk“ von Krupp in Markstätt arbeiteten. Dieses Lager bezogen nun wir. Fünfteichen selbst liegt nur einige wenige Kilometer von Breslau entfernt und hätte auf direktem Weg in einen Tag bequem erreicht werden können. Aber der Iwan wollte mit uns eine Schau veranstalten nach dem Motto „Die besiegten Nazis“. Andere Einheiten aus Breslau kamen in das Lager Hundsfeld, darunter auch die höheren Offiziere.
In Fünfteichen jagte eine Filzerei die andere. Landser, die zwei Jacken, Pullover oder Hosen hatten, selbst solche, die ein zweites Paar Socken hatten, wurden die doppelten Kleidungsstücke hierbei los. Hatten uns die russischen Posten auf der Kaiser-Wilhelm-Straße gefragt „Kamerad, Postol jest?“, so fragten sie jetzt „Kamerad, nix Uhr, nix Stylograph (Füllhalter)“. Sie nahmen, was sie brauchen konnten. Ende Juli 1945 begann für uns der Marsch bzw. die Bahnfahrt in die moderne Sklaverei, aus der es für die meisten von uns kein Zurück mehr gab.
Военнопленный довай “ (Kriegsgefangener, komm schon)
Bericht des Herrn Engelbert Kempf aus Weil am Rhein, aufgeschrieben am 07.01.1983
Als Funker gehörte ich der 269. Inf. Div. an. Wir wurden als Vorausabteilung am 03.01.1945 von Neubreisach in den Raum Kempen-Großwartenberg in Marsch gesetzt. Mit der dort gebildeten Kampfgruppe Krafft erlebte ich den Rückzug über Groß-Wartenberg, Radom, Oels bis Breslau. Nach Auflösung der Kampfgruppe, oder anderweitigen Verwendung, kam ich dann wieder zu der inzwischen eingetroffenen Division und wurde im Raume südlich Breslau - Olau - Brockau - Strehlen
eingesetzt. Nach erfolglosem Durchbruchsversuch der 269. Inf. Div. am 13./14.02.1945 im Raume Konradserbe, Rankau und Segen fuhren wir mit unseren Funkwagen zurück nach Breslau und verblieben einige Zeit in der Vicktoriastraße. Kurzfristig wurden wir auf der Dominsel in einem Gymnasium untergebracht. Nach einer Wartezeit von ca. 2 - 3 Wochen erreichte uns der Befehl, 2 Funker, darunter auch ich, einer neu aufgestellten Nachrichtenabteilung bei dem Fallschirmjägerbataillon 26 abzustellen. So kam ich zum Fallschirmjägerbataillon 26, wenn ich mich richtig erinnere, wurde kurz darauf nochmals eine Fallschirmeinheit eingeflogen, dem ich bis zu seiner Auflösung angehörte. Namen sind mir leider nur noch vage in Erinnerung. -
Mein Einsatzgebiet befand sich¡ hauptsächlich im Südwesten, Westen und Nordwesten. Stationen dieses Gebietes waren Mochbern, Maria Höfchen, Schmiedefeld, Pilsnitz, Poppelwitz?, Flughafen Gandau, Blindenanstalt, Schießstände, Ziegeleifabrik und Polizeikaserne. –
Kurz vor Ostern 1945 war ich mit der Einheit zur Ruhe in einem quadratisch angelegten Häuserblock in Pilsnitz oder auch Poppelwitz?. Plötzlich um 10.00 Uhr morgens geisterte in unserer Abteilung das Gerücht, daß soeben ein Unteroffizier unserer Einheit mit einer russischen Spionin gefaßt worden sind. Eine halbe Stunde später wurden wir ausquartiert und mußten zwischen Schmiedefeld und Pilsnitz abwartend Stellung beziehen. Gott sei Dank, kann ich nur sagen, denn Punkt 13.00 Uhr ist unser verlassenes Quartier mit starkem Trommelfeuer belegt worden. Aus dieser Stellung heraus wurden Spähtruppunternehmen gestartet und aus einem dieser erfolgreichen Unternehmen bei Schmiedefeld zurückgekehrte Kameraden erzählten uns, daß sie ein Maschinengewehrnest der Russen vernichtet haben und bei Rückkunft in diese Bombenangriffe hineingeraten sind. Ihre Ohren waren taub von diesem Krachen und Bersten der Bomben. Obwohl wir am neuen Standort schwere Bombenangriffe über uns ergehen lassen mußten, konnte durch diese Maßnahme in der Einheit größeres Unheil vermieden werden. –
Nach Abflauen des Gefechtslärmes und Beruhigung an diesem Ort, erfolgte die Verlegung zum Flugplatz „Gandau“ und ich mußte mit meinem Funktruppführer eine neue Funkstelle in einem Kellerraum des Flughafengebäudes aufbauen. Wir stellten unterdessen auch fest, daß sich die russischen Kräfte bis an den Bahndamm (am südlichen Teil des Flugplatzes) herangeschoben hatten. Am 29. oder 30. März wurde das Flughafengebäude sowie andere Gebäude im nahen Bereich unter starkes Artillerie- und Pakbeschuß genommen. Gleichzeitig griffen auch russische Panzer über das Flugfeld aus Richtung Maria-Höfchen-Schrebergärten unsere Stellungen an. Die vorläufige Absicht des russischen Angriffs erkannten wir darin, daß die Panzer bis zur Straße nach Mochbern vorstießen und dann sich westlich davon zum Zwecke des Flankenschutzes einigelten. Besonders hervorhoben möchte ich die Geschützbedienung der naheliegende 8,8 cm Flak, die sich der Übermacht der russischen Panzer hervorragend stellte und dabei einige Panzer kampfunfähig machen konnte. Außerdem bemerkten wir, daß die Russen während des Angriffs einige Pakgeschütze ohne Besatzung bis auf 100 Meter an das Flughafengebäude herangezogen hatten.
Diesem Verhalten der russischen Angriffstruppen trauten wir nicht und vermuteten für die nächsten Tage einen Großangriff. Zum Zwecke der Bestätigung ihrer Angriffsabsichten wurde ein Spähtrupp zusammengestellt, der am folgenden Abend einen Erkundungsauftrag in den Schrebergärten am Ende des Flugplatzes, Richtung Schmiedefeld, ausführte. Nach der Rückkehr des Spähtrupps erfuhren wir, daß sich mindestens drei Kompanien Russen in den Schrebergärten in Bereitstellung befinden. Wir erwarteten den Großangriff am folgenden Tag, es war der 1. April 1945, der punkt 13.00 Uhr mit einer massiven Wucht durch Bomberverbände, Artillerie, Pakfeuer, Panzer und Infanterie vorgetragen wurde. Ich glaubte, die Erde würde untergehen. Im Verlaufe dieses Angriffes drangen die Russen unter ohrenbetäubenden Schlachtrufen „Urä“ in den Keller ein. Wir konnten uns unter Mitnahme unseres Funkgerätes, mittels eines unterirdischen Verbindungsganges zum anliegenden Heizraumgebäude absetzen.
Dort angekommen, versuchte ich den Truppführer zu überzeugen, daß wir unbedingt aus diesem Heizkeller heraus müssen, sonst sind wir verloren. Er zögerte mir zu lange und ich ging alleine nach oben, um über die Straße zum gegenüberliegenden Judenfriedhof zu gelangen. Auf der Treppe oben mußte ich feststellen, daß ein Überqueren der Straße unter den gegebenen Umständen nicht möglich war. Beim Umdrehen stand ich auf einmal einer Gruppe von mindestens 10 Mann russischen Infanteristen gegenüber und konnte mich nur durch einen Sprung in den Keller retten.
Daraufhin blieb uns nur noch die eine Möglichkeit, schnell durch den Verbindungsgang zurück in den Keller des Flughafengebäudes zu gelangen. In Gedanken erwartete ich schon den nahen Tod durch erschießen, aber welch ein Wunder geschah, als ich am Ende des Fluchtweges einen Treppenaufgang erblickte und keine Russen zu sehen waren. Ohne zu zögern und ohne die Zustimmung meines Truppführers abzuwarten, strebte ich mit Tempo dem Erdgeschoßausgang zu. Beim Hinauslaufen drehte ich mich nochmals kurz um und sah mit erschrecken, daß sämtliche Fenster im Erdgeschoß von russischen Soldaten besetzt waren. Ich rannte was ich konnte in Zickzack über die Straße. Zu meinem Leidwesen mußte ich feststellen, daß ich mich mitten in einer russischen Angriffswelle befand und wußte im Augenblick nicht, was ich machen sollte. Was soll’s, ich türmte, die Russen stürmten, bis ich mich vor einem 2 Meter hohen Drahtzaun befand, den ich mit Mühe und Not übersteigen konnte.
Auf kürzestem Weg durchquerte ich den jüdischen Friedhof und erreichte die Blindenanstalt. Mittlerweile war auch mein Truppführer wieder zu mir gestoßen. Leider hatte er beim Verlassen des Flughafengebäudes einen Steckschuß im linken Wadenbein abbekommen. Das nächste Ziel für uns einen Keller zu erreichen, wo wir uns wieder von den Strapazen etwas erholen konnten.
Auf welche Weise wir uns wieder mit unsern Kameraden getroffen hatten, kann ich nicht mehr mit Bestimmtheit sage. Auf jeden Fall sammelten wir uns in der Westendstraße, um von dort aus sofort wieder in den Einsatz zu kommen. Ich kann nur sagen, wir waren allesamt sehr müde und konnten nicht verstehen, daß sich ständig die gleichen Bataillone in vorderster Front ablösen sollen. –
Der nächste Einsatzort war für uns die Ziegeleifabrik, wo wir für eine kurze Zeit wieder eine Funkstelle aufbauen mußten. Unsere Aufgabe bestand darin, das Granatwerferfeuer unserer Granatwerfergruppe zu leiten. Ein Kamerad wurde eigens dafür abgestellt, um uns durch ein Grabensystem bis zur genannten Stelle durchzuschleusen. Wir hatten dabei noch großes Glück, beinahe führte uns der Kamerad in die russische Hauptkampflinie am Bahndamm. Wie ich bereits erwähnte, waren wir nicht lange in dieser Stellung, der Druck der Russen wurde immer stärker, und nach Abbau der Funkstelle kehrten wir wieder in die Westendstraße zurück. –
Ein neuerlicher Einsatz in der Gegend der Striegauerstraße, Berlinerstraße, die genaue Ortsbestimmung kann ich nicht mehr geben, war nur von kurzer Dauer. Wir mußten diesen Einsatz wegen zu starken russischen Angriffen abbrechen und kehrten an einen mir heute nicht mehr bekannte Stelle zurück. Dort wurde uns mitgeteilt, daß die beiden Fallschirmjägerbataillone aufgerieben seien, daß die Nachrichtenabteilung wegen erheblicher Verluste aufgelöst und wir einer anderen Verwendung zugeführt werden sollten. Die Reste der Kompanien wurden auf andere Truppenteile verteilt. –
So beendete ich meine Tätigkeit als Funker bei dem Fallschirmjägerbataillon 26 und wurde mit meinen Kameraden zur 18. schweren Kompanie abkommandiert. –
Letzte Stationen meiner Einsätze waren in diesem Dilemma für mich die Gräbschner / Schweidnitzerstraße und noch andere Orte.
Am abend des 6. Mai 1945 21,00 Uhr marschierten wir mit unserer Einheit durch die Tauentienstraße / Straße der SA in russische Gefangenschaft.
Abschließend darf ich noch erwähnen, daß eine solche Kameradschaft, wie ich sie bei dieser Einheit angetroffen haben, nirgends erleben durfte.
Schlaglichter aus dem zweiten Weltkrieg
Von Prof. Dr. Rudolf Stahl
Bericht des Prof. Dr. Rudolf Stahl (* Breslau 8. März 1889, † Braunschweig 11. Oktober 1986) aus Braunschweig, aufgeschrieben am 23.03.1982. Weitere Informationen über Prof. Dr. Rudolf Stahl sind auch in Wikipedia zu finden.
1938 begann der zweite Weltkrieg. Der Vormarsch machte gute Fortschritte - bis Moskau. Hier gebot der Winter ein „Halt“. Die Motoren der Geschütz- und Transportgeräte waren eingefroren. Das Wort Stalingrad erfüllt noch heute mit Trauer.
Der Rückzug nach dem Osten setzte ein. Die Stadt Breslau wurde in eine Festung verwandelt. Zahlreiche Bunker und Sanitätsstellen wurden eingerichtet. Der Mittelpunkt wurde der Neumarktbunker; doch gab es den Elbingbunker und viele andere Sanitätsstellen.
Mir war der Auftrag erteilt, das große Lazarett „Arbeitsamt“ leiten. Ich schaute betrübt von meinem Zimmer über die Oder auf die und Magdalenenkirche und auf das Haus für Vaterländische Kultur, wo ich vor Jahren einen Vortrag halten mußte, den ich als Deutsches Hauptreferat beim 1. Internationalen Bluttransfusionskongreß in Rom gebracht hatte. Ich beobachtete, wie-große Scharen von Rindern von den Siegern aus der Stadt getrieben wurden.
Da hielt ein großer Wagen mit russischen Stabsoffizieren vor dem Haus. Die Offiziere baten mich, mit ihnen zum russischen Stabsquartier zu kommen zum General Sacharow, er sei nierenkrank.
Ich wurde durch die zerschossene Stadt nach dem Vorort Kleinburg gebracht. Man behandelte mich als Arzt („Wratch“) sehr höflich. Ich bat um eine Schüssel Wasser zum Händewaschen. Man holte einen Krug mit Wasser, gab mir ein Stück Seife und goß mir das Wasser Hände. Das Wasser in der Schüssel sei schmutzig; ihr Verfahren sei „Kultura“.
Die Behandlung verlief ohne Komplikation. Es ergab sich die Notwendigkeit einer Zahnbehandlung durch unseren Zahn- und Kieferarzt Dr. Rieger. Er sorgte auch für die gewünschten Goldzähne.
Zur nächsten Behandlung wurde auch eine Masseuse des Krankenhauses hinzugezogen.
Am nächsten Tag folgte der Antrittsbesuch zusammen mit dem „Leitenden Sanitätsoffizier“. Es war eine mütterliche Dame, brünett, mit gescheitelten braunen Haaren und braunen, nicht unfreundlichen Augen, genannt: die Korschanowa.
lm großen Saal stand ein Piano. Und so wurde nach Musik gefragt. Unser junger Dr. Dettmering war ein ausgezeichneter Pianist, und ich spielte Geige; von Kreisler Volkslieder, die großen Beifall fanden.
Am nächsten Tag Behandlung mittags mit nachfolgendem Mittagsmahl; eingangs Sakuska mit ¼ Liter Wodka, das in einem Zug heruntergetrunken werden mußte.
Es schmeckte ausgezeichnet und machte einen gewaltigen Hunger auf die reichlichen Delikatessen und die Hauptmahlzeit, die der Chefkoch - Wanja - in weißer Berufskleidung mit großer weißer Ballonmütze es sich nicht nehmen ließ, persönlich zu servieren. Abschluß mit Schokolade, Konfitüren, Sekt aus den Krankenhausvorräten.
Die dritte ärztliche und Massagebehandlung fand abends statt mit anschließendem Abendmahl. Wieder Sakuska und Wodka, Hauptgericht und Nachspeisen. Dann Unterhaltung. Nun waren außer den Stabsoffizieren anwesend eine junge Frau in Militäruniform und die Masseuse. Aus dem Radio kamen Tanzmelodien, und so tanzten zwei Paare miteinander. Die anderen Männer blieben aber nicht ruhig sitzen, sie tanzten jeder allein mit Kniebeugen und Sprüngen um die Paare herum, mit Lärm und Zurufen so wild, wie man es sich vor Urvölkern vorstellen kann. Sie rissen Blumen aus den Vasen und drückten sie den Damen in die Arme. Allmählich trat wieder Ruhe ein.
Der General fragte nach deutschen Soldatenliedern, und so sagte ich ihm unser so liebes Lied. Ich sagte den Text, der zeilenweise ins Russische übersetzt wurde, und spielte die Melodie auf dem Klavier.
Im Felsquartier auf hartem Stein
streck ich die müden Glieder
und singe in die Nacht hinein
der Liebsten meine Lieder.
Nicht ich allein hab’s so gemacht - Annemarie,
von ihrer Liebsten träumt bei Nacht
die ganze Kompanie.
Den nächsten Wiedersehenstag
kann ich Dir noch nicht sagen,
wir müssen uns im fremden Land
mit fremdem Volk rumschlagen.
Vielleicht wird‘ ich bald bei Dir sein - Annemarie,
vielleicht gräbt man schon morgen ein
die ganze Kompanie.
Und schlägt mich eine Kugel tot,
kann ich nicht weiter wandern,
dann wein‘ Dir nicht die Augen rot
und nimm Dir einen andern,
nimm Dir den Burschen jung und fein - Annemarie.
es muß ja nicht grad‘ einer sein
von meiner Kompanie - von meiner Kompanie.
streck ich die müden Glieder
und singe in die Nacht hinein
der Liebsten meine Lieder.
Nicht ich allein hab’s so gemacht - Annemarie,
von ihrer Liebsten träumt bei Nacht
die ganze Kompanie.
Den nächsten Wiedersehenstag
kann ich Dir noch nicht sagen,
wir müssen uns im fremden Land
mit fremdem Volk rumschlagen.
Vielleicht wird‘ ich bald bei Dir sein - Annemarie,
vielleicht gräbt man schon morgen ein
die ganze Kompanie.
Und schlägt mich eine Kugel tot,
kann ich nicht weiter wandern,
dann wein‘ Dir nicht die Augen rot
und nimm Dir einen andern,
nimm Dir den Burschen jung und fein - Annemarie.
es muß ja nicht grad‘ einer sein
von meiner Kompanie - von meiner Kompanie.
Die Hörer waren ergriffen. Dann kam es zur Unterhaltung. So fragte ich, warum die Großgrundbesitzer – Kulaken – so verhaßt wären; wieviel Morgen sie besäßen. Man antwortete mir: So zwanzig, dreißig Morgen. Und wieviel Vieh sie halten könnten: So hundert oder mehr Rinder. Aber das sei doch unmöglich, soviel Vieh zu halten bei so geringem Grundbesitz. Ja, es stünden ihnen doch beliebig Wiesen und Wälder zur Verfügung; so dünn sei. das Land besetzt.
Der russische Offizier konnte sich nicht vorstellen, daß in Europa jeder Quadratmeter in Privatbesitz ist. In Rußland bekommen besonders tüchtige Leute einen Besitz von 1 – 2 Morgen mit Haus, wo sie für die Familie sorgen können.
Dann war es Mitternacht. Plötzlich wurde es still, da setzte der General mit seinem herrlichen Gesang ein, getragen, metallisch und groß, wie wir es von den Don-Kosaken kennen; getragen und schön. Damit endete der schöne Abend.
Eines Mittags wurde ich im Alarm in das Russen-Krankenhaus Bethanien gerufen. Etwa 30 Soldaten hatten aus einem großen Kanister eine süßliche Flüssigkeit genossen. Einige der Soldaten sollen 300, andere bis 1000 ccm getrunken haben. Danach stellte sich Blindheit ein, dann schmerzhafte Krämpfe, die sich steigerten. Nachher stellte sich heraus, daß es sich um Kraftstoff handelte mit 12 % Methylalkohol! Alle Bemühungen von Behandlungen mit Aderlässen, Lumbalpunktionen, Morphium waren nutzlos. Alle 30 Soldaten starben unter Krämpfen und Schmerzen. Die Korschanowa bat mich zur Besprechung. Ich erwähnte, daß ein solcher Vorfall mit seinen tödlichen Folgen in der Literatur bisher unbekannt sei und wissenschaftlich festgehalten werden müsse. Das lehnte sie natürlich ab; es dürfe nichts verlauten. Man denke, nach 12 g Methylalkohol fängt schon die Blindheit an. Nicht auszudenken war der Grad der Giftigkeit der genossenen Mengen!
Eines Tages meldeten sich die Russen zu einer Krankenhaus-Visitation an. Das war für uns ein großes Problem. Wir beschäftigten etwa 20 junge Mädchen, die tags im Krankenhaus halfen. Man kann sie Hostessen nennen. Wie könnte man diese Mädchen vor einem Eingriff der Soldaten retten? Schließlich fanden wir folgenden Ausweg: In einem Krankensaal, wo die Betten entlang den Wänden standen, wurden die Mädchen auf die linke Seite an der Wand je zu einem kranken Soldaten unter die Bettdecke gelegt. Und dieser Trick funktionierte glänzend, alle Mädels blieben geschützt!
Sehr traurig verlief ein anderer Fall: Eines Morgens sehe ich eine Hostesse im Krankenhaus ankommen, fröhlich im leichten Frühlingskostüm auf dem Fahrrad - mit wehenden blonden Haaren. Es war blendender Sonnenschein. Ich nehme sie mir sofort herein und machte ihr klar, daß sie in dieser Kostümierung in Lebensgefahr sei! Sie müsse auf den Straßen nur in schäbiger Kleidung sich zeigen, sonst kann es um sie geschehen sein! Sie hat mir Gehorsam versprochen; sie war in den folgenden Tagen nur mit streng verhüllten Haaren in schäbigem Mantel zu sehen. Eines Sonntags erscheint sie wieder so fröhlich frühlingshaft mit wehendem Blondhaar. Ich muß meine strenge Warnung streng wiederholen. Sie verspricht Gehorsam. Mittags fährt sie wieder zur Mutter nach Hause, kommt jedoch nicht zu Hause an, auch nicht in der Klinik. Sie bleibt seitdem völlig verschwunden! … Und nach 6 Wochen findet man sie als Leiche im Hinterhof eines verlassenen Hauses. Was mag die Arme erlebt, gelitten haben! Es krampft einem das Herz!
Die Chefärzte der Sanitätsstellen in Breslau bekamen die Aufforderung, sich zu einem bestimmten Termin bei dem russischen Kommandanten zu einer Besprechung zu versammeln. Es wurden allerhand gemeinsam interessierende Fragen besprochen. Dann erzählte der Oberstabsarzt, daß er von dem russischen Posten am Haustor nicht salutiert worden sei. Das wäre bei einem höheren Offizier unerhört, und er habe sich sofort bei dem russischen Chefarzt beschwert. Einige Tage später wurde der Oberstabsarzt von den Russen von seiner Stellung abgelöst und an mein großes Arbeitsamt-Krankenhaus versetzt, und zwar an eine kleine Station mit nur 20 Betten mit Hautkranken.
Er war zwar nicht sehr erfreut, schickte sich aber in sein Schicksal. Einige Wochen später wurde er krank, hatte sich den Magen verdorben und bekam eine schwere Gallengangkolik mit hohem Fieber. Dann war beschlossen worden, daß das Krankenhaus Arbeitsamt – also was ich dirigierte - allmählich aufgelöst werden solle. Und da war der schwerkranke Oberstabsarzt einer der ersten, die in das Barackenlazarett Hundsfeld, 5 km von Breslau entfernt, verlegt wurde; trotzdem ich dem Transport bei Winterkälte auf Stroh im offenen Bretterwagen widerrief, ja protestierte, wurde dieser Transport durchgeführt. Ich konnte später nicht feststellen, was aus dem Oberstabsarzt geworden ist. Vielleicht hat er die gefährliche Krankheit nicht überstanden!
Als mein Krankenhaus Arbeitsamt geschlossen wurde, befahl der russische Kommandant, daß ich alle mir gehörenden Sachen mitnehmen könne. Die Transporteure wollten meine Geige behalten. Auf russischen Befehl durfte ich sie behalten, nur das weißseidene Tuch, in das sie gehüllt war, war verschwunden.
Ich übersiedelte in eine kleine Villa am Schwarzwasser, von der ich mein vor 10 Jahren gebautes Haus sehen konnte. Ich besuchte den polnischen Wohnungskommissar und bat um wenigstens ein Zimmer in meinem eigenen Haus. Er sagte, alle die Häuser seien für die polnische Universität bestimmt. Aber er habe alles Wertvolle aus meinem Haus in seinem Nachbarzimmer. Als er zur Zeit der Festung bei uns als Installateur angestellt war, hätten wir ihn gut behandelt, deshalb könnte ich mir alles zurückholen, was ich wollte. Nur bitte er, daß er die beiden Bände „Wilhelm Busch“ behalten dürfe.
Ich wohnte nun in der kleinen Villa am Schwarzwasser und hatte die Leitung der internen Abteilung im jetzt polnischen Krankenhaus „Zu den barmherzigen Brüdern“ übernommen. Dort waren jetzt auch Schwestern, ich glaube „Zum Herzen Jesu“ tätig. Ich habe mich mit den Polen recht gut verstanden. Zu Ostern wurde ich von den Frauen zu einem polnischen Frühstück eingeladen.
Bei. mir am Schwarzwasser wohnten noch von meiner Familie die treue Sekretärin und die seit 12 Jahren bei uns tätige Kinderpflegerin und zwei Kinder. Der wissensdurstige Sohn räuberte die Packungen Röhrenpulver aus verlassener Batterie und machte damit Feuer, fischte Krebse und Fische im Leerbeutler See und pflückte Misteln von den hohen Bäumen, zu Weihnachten für den über uns wohnenden polnischen Major vom Roten Kreuz, der uns zum Dank einen schönen großen Fisch für Weihnachten schenkte.
Alle Abende kam ein Zeitpunkt, wo polnische Miliz die Häuser unseres Stadtteiles plünderte. Man hörte laute Hilferufe, Klappern mit Tellern und Topfdeckeln, mit dem sich die Menschen in ihrer Not bemerkbar machen wollten. Wenn es dann ruhig wurde, holte man mich, wenn ein sich wehrender Mann - oder Frau – verwundet oder erschossen war.
Meine Frau mit Kindern und Großmutter waren aus dem schlesischen Gebirge in einem Lazarettzug Richtung Sachsen - Polen abgefahren, aber in Liegnitz ausgestiegen, um Polen zu vermeiden. Sie kamen in einem Bahnwärterhaus unter in Vorderheide bei Liegnitz.
Ich wollte mit der Bahn hinfahren. Um 10.00 Uhr sollte der Zug fahren. Um diese Zeit stand noch eine riesige Schlange vor der Kasse. Jede Fahrkarte wurde mit Bleistift auf einen Zettel geschrieben. Der Zug fuhr dann endlich um 13.00 Uhr fort, und man stieg in Vorderheide aus, um nicht nach Polen zu kommen, und wurde in dem Bahnwärterhaus einquartiert. Dort wurde meine Frau vom Russen beschäftigt gegen Nahrungsmittel, Suppe etc. Getreide vom Felde wurde gemäht, gedroschen, selbst Brot gebacken.
Bei mir im Krankenhaus Barmherzige Brüder hatte ich auch Privatpraxis, besonders von Juden. Herr Semi Lifschitz hätte eine kranke Lunge und einen „Wurm im Gehirn“. Beides wurde geheilt. Er lud mich nach Liegnitz in seine Fleischerei ein und führte mich zu anderen Juden. „Die Juden sind reich, daß Sie mir von keinem weniger als 15 Zloty nehmen!“ So hatte ich einige Einnahmen und konnte in Breslau eine Wohnung mieten und von Ungeziefer befreien, um meine Familie dahin zu holen vor der gemeinsamen Ausreise nach dem Westen. Die Juden vom Kibbuz besorgten ein Lastauto, mit dem sie meine Familie aus den Händen der Russen holten und von Vorderheide nach Breslau brachten.
Ich suchte zu diesem Zweck auch die Korschanowa auf und bat um ihre Zustimmung zur Ausreise mit Caritas-Treck. Sie sagte, es sei verboten, Ärzte ausreisen zu lassen; wir sollten in Moskau mit der ganzen Familie eine gute Wohnung bekommen. Aber da ich eine so große Familie hätte, sagte sie: „Wir werden Sie vergessen, geben nichts Schriftliches mit, und Sie Sie sind einfach fort.“ Für dieses Verständnis war ich sehr dankbar.
Unsere Sekretärin hatte inzwischen eine sehr schwere Typhuserkrankung durchgemacht. Nur zwei Bluttransfusionen von 2 Klosterbrüdern gewonnenen Blutes retteten sie. Als Rekonvaleszentin brachten wir sie liegend in den Zug. Wir hatten eine Frau mit ihrem Rot-Kreuz-Wagen für 1000 Zloty gemietet. So kamen wir auch über die Versammlung der Abreisenden im Krankenhaus Bethanien weg, wo das Gepäck vor der Ausreise durch Miliz untersucht und beraubt wurde.
So kamen wir schließlich nach Schleswig zu Verwandten. Unsere Sekretärin wurde bestens untergebracht, war dann in Hannover im Annastift, wo hervorragende Ärzte die Neuritis der Beine in Monaten bestens heilten. Sie ist heute noch wohlauf und sorgt für ihre Familie.
Zu erwähnen ist noch, daß die Russen recht kinderlieb sind. Als ich mich beim Kommandanten zur Fahrt nach Vorderheide zur Familie abmeldete, fragte er, ob ich dort Kinder hätte. Als ich bejahte, machte er eilig ein großes Schubfach auf und gab mir eine große Tüte mit Süßigkeiten für die Kinder und schüttelte mir kräftig die Hand.
© Thorsten Migenda 21.04.2019
letzte Überarbeitung: 24.10.2019
letzte Überarbeitung: 24.10.2019