Abschiedsgruß der Evangelischen Kirchenleitung für Nieder- u. Oberschlesien an ausreisende Gemeindemitglieder vom 15. März 1946 - Breslau
Der nachfolgende „Abschiedsgruß“ der evangelischen Kirche Schlesiens vom 15. März 1946 an seine „ausreisende" Gemeindemitglieder aufgrund der Vertreibung der Deutschen aus ihrer Heimat durch die Polen, ist der hiesigen Dokumentensammlung aus folgendem Grund beigefügt, die Hans-Jürgen Migenda 2006 so beschrieb:
„Diesen Abschiedsgruß fanden wir im spärlichen Nachlaß unserer Großmutter Ida Anna Martha Migenda, geb. Einspenner, aus Reichenbach (Eulengebirge), Ring 42, der uns nach Gladbeck in Westfalen zugestellt wurde. Im Herbst 1946 wurde sie mit anderen Leidensbrüdern und -schwestern aus Schlesien vertrieben. Sie schaffte es bis zur innerdeutschen Grenze, wo man sie in ein Auffang- und Durchgangslager aufnahm. Wenige Tage später verstarb sie an Entkräftung (Unterernährung) daselbst und wurde auch dort begraben. Der Weg, die Weiterfahrt reichte nicht mehr bis nach Gladbeck in Westfalen. (Daselbst hatten wir im Haus sehr wenig Wohnraum; insgesamt waren wir dort mit insgesamt 3 Familien untergebracht, und die Räume waren durch die Kriegsereignisse mehr oder minder stark beschädigt.)
Unsere Großmutter (väterlicherseits) ist fast 77 Jahre alt geworden; sie war Witwe. Als Sterbeort ist Oederan (in Sachsen) angegeben. Es war uns seit damals nicht möglich, das Grab zu besuchen. ...“
„Diesen Abschiedsgruß fanden wir im spärlichen Nachlaß unserer Großmutter Ida Anna Martha Migenda, geb. Einspenner, aus Reichenbach (Eulengebirge), Ring 42, der uns nach Gladbeck in Westfalen zugestellt wurde. Im Herbst 1946 wurde sie mit anderen Leidensbrüdern und -schwestern aus Schlesien vertrieben. Sie schaffte es bis zur innerdeutschen Grenze, wo man sie in ein Auffang- und Durchgangslager aufnahm. Wenige Tage später verstarb sie an Entkräftung (Unterernährung) daselbst und wurde auch dort begraben. Der Weg, die Weiterfahrt reichte nicht mehr bis nach Gladbeck in Westfalen. (Daselbst hatten wir im Haus sehr wenig Wohnraum; insgesamt waren wir dort mit insgesamt 3 Familien untergebracht, und die Räume waren durch die Kriegsereignisse mehr oder minder stark beschädigt.)
Unsere Großmutter (väterlicherseits) ist fast 77 Jahre alt geworden; sie war Witwe. Als Sterbeort ist Oederan (in Sachsen) angegeben. Es war uns seit damals nicht möglich, das Grab zu besuchen. ...“
Abschiedsgruß
der Evangelischen Kirchenleitung für Nieder- u. Oberschlesien
an ausreisende Gemeindemitglieder.
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Liebe Brüder und Schwestern!
Der furchtbare Zusammenbruch unseres Volkes und die damit verbun=
dene politische Umwälzung treffen uns Schlesier besonders hart und ein= schneidend. Denn für viele unter uns bedeuten sie den Verlust der Hei= mat. Seit einigen Wochen hat die Evakuierung der schlesischen Heimat in grösseren Umfang eingesetzt. Auch unsere Gemeinde verlassen täglich viele Gemeindeglieder, in Sonderheit die Alten und kinderreichen Fami= lien. Die Kirche weiß, wie groß die Not ist, die Euch durch den Verlust von Hab und Gut und Heimat trifft. Die Kinder Gottes können alles ver= lieren: Gut, Heimat, ja das Leben, doch niemals den Herrn Christus, der sich für uns verloren gab und durch sein Heiliges Kreuz und seine Auferstehung die ewige Heimat und das ewige Leben für uns gewann. Wir bitten den dreieinigen Gott, dass er Euch mit seinem Trost und Segen auf Eurem schweren Wege begleite und helfe, in der neuen Heimat bald wieder eine gesicherte Lebensgrundlage und die Geborgenheit eines fried= lichen Familienlebens zu finden. Wir mahnen Euch, nicht den Versuchungen, die eine solch tiefgrei= fende Veränderung, wie die Loslösung aus der alten und die Entwurzelung in eine neue Heimat mit sich bringt, anheim zu fallen. Lasst Euch nicht von dem Geist der Hartherzigkeit und der Selbstsucht ergreifen, der nur an die eigne Not denkt und das Herz für das Elend des Nach= barn verschliesst. Bewährt Euch gerade auf dem dunklen Weg, den Ihr gehen müsst, als die Kinder des Herrn Christus, der selbst heimatlos zu den Mühseligen und Beladenen kommt, um sie zu erquicken. Die Jungen sollen den Alten, die Starken den Schwachen, die Gesunden den Kranken hilfreich zur Seite stehen. Gebt denen, die ohne die nötige Verpfle= gung von Hause weggingen, von dem, was Ihr mitnehmen konntet. Wir mahnen und bitten Euch, an Eurem Reiseziel bald Verbindung mit Eurer neuen Kirchengemeinde aufzunehmen, damit sie Euch in der ersten Zeit der Einsamkeit und des Fremdseins den Trost des Wortes Gottes schenken und den Weg zur Gemeinschaft mit evangelischen Menschen öffnen kann. Die schlesischen Gemeinden sind bekannt durch die Treue zu ihrer Kirche. Haltet Euch fernerhin treu zu Gottes Wort und Sakrament! Viel= leicht benützt Euch Gott in seiner Weisheit als seine Boten, durch die er neues kirchliches Leben in toten Gemeinden unseres Vaterlandes weckt. Die Gebete Eurer schlesischen Kirche begleiten Euch auf Euren Wegen. Wenn Euch über all der Ungewissheit und Not Eures Lebens das Herz gar zu schwer werden will, dann flüchtet Euch zu dem Gott, der der Vater unseres Herrn Jesus Christi ist, von dem wir so oft gesun= gen haben: Befiehl du deine Wege und was dein Herze krankt, der allertreusten Pflege des, der den Himmel lenkt! Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann. Der Allmächtige Gott segne Euch in der Trübsal und Anfechtung aus der Fülle seiner Gnade. Breslau, den 15. März 1946. |
© Thorsten Migenda 2022-07-26
letzte Überarbeitung: -
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