Atomlokomotiven
Die deutsche Atomlokomotive A600 von Krauss-Maffei 1955 (Entwurf)
Im Internet las ich zufällig vor nicht allzu langer Zeit in einem alten Zeitungsartikel mit einer einfachen Skizze versehen aus dem Archiv des „Duisburger Generalanzeigers“ der 1950ger Jahre, daß die Deutsche Bundesbahn über eine Atomlokomotive nachdachte. Neugierig geworden, denn davon hatte ich noch nie was gehört, suchte ich weiter. Wesentlich mehr fand sich nur vereinzelt hier und da. Der Grund lag vielleicht daran, daß die Deutsche Bundesbahn ziemlich schnell dementierte, daß sie eine Atomlokomotive bauen wolle. Damit verschwand die Sache wieder aus dem öffentlichen Blickfeld. Anders dagegen ihr US-amerikanisches Gegenstück, die geplante Atomlokomotive X-12. An ihr wurde in den 1950ern jahrelang geforscht und konstruiert. Und darüber hinaus wurde in verschiedenen amerikanischen Magazinen berichtet, inklusive aufwendiger Zeichnungen und Illustrationen der geplanten Atomlok. So ist es heute natürlich selbstverständlich, daß man bei der Internetsuche nach Atomlokomotiven zuerst die X-12 präsentiert bekommt. Bei dem deutschen Gegenstück muß man schon mehr suchen.
Da es von der deutschen Atomlok dagegen nur eine Entwurfsskizze zu geben scheint, entschloß ich mich - als Entspannungsübung - gleichfalls die deutsche Atomlok etwas realistischer zu zeichnen. Die Ergebnisse sind unten folgend zu sehen.
Zu dem deutschen Atomlokentwurf läßt sich zusammenfassend folgendes sagen: 1955 veröffentlichte der Lockhersteller Krauss-Maffei einen Sonderdruck im Heft 22/1955 „Die Bundesbahn“ darüber, inwieweit sich die Atomenergie als Energiequelle für eine Lokomotive nutzen und wie in etwa eine solche sich verwirklichen ließe (siehe „hier“ und „hier“). Die Atomlokomotive sollte circa 35 Meter lang werden und aus drei ähnlichen Gehäusen der neu entwickelten Dieselhydrauliklok V200 (V=Verbrennungsmotor, 200 für 2000 PS), gleichfalls von Krauss-Maffei gebaut, bestehen. Äußerlich hätte sie im Prinzip einer langgestreckten V200 geähnelt. Vier Fahrgestelle sollte sie tragen, wobei jeweils zwei Achsen pro Fahrgestell, wie bei der V200, mittels Hydraulik für den Antrieb sorgen sollten. Als Gesamtgewicht der Atomlok wurden etwa 175 Tonnen errechnet. Die Achslast hätte hierbei rund 22 Tonnen betragen, was für das damalige deutsche Schienennetz sehr hoch gewesen wäre. Darum wurde erörtert und es ist auch fest auszugehen, daß jedes Drehgestell noch in der Mitte eine zusätzliche, antriebslose Achse zum Mitlaufen erhalten hätte. Das Achsgewicht hätte danach für europäische Verhältnisse akzeptable 15 Tonnen betragen. Herzstück der Atomlok war ein in der Mitte plazierter abgekapselter Uranreaktor, der durch Heliumgas moderiert und gekühlt werden sollte. Beidseitig des Reaktors hätte das erhitzte Heliumgas jeweils eine Hochdruckturbine angetrieben. Wie die erzeugt Kraft auf die Achsen weiter übertragen werden sollte, ist aus der Skizze nicht ganz verständlich. Anzunehmen wäre, daß die Hochdruckturbinen über Getriebe bzw. Kupplungen mit den Niederdruckturbinen verbunden wäre, die dann über die Hydraulik, wie bei der Diesellok V200, die verschiedenen Achsen über Wellen antreibt.
Man errechnete dabei eine Leistung der Lok von knapp 6.000 PS, was für die 1950ger Jahre sehr viel gewesen wäre. Mit dieser Kraft wäre sie in der Lage gewesen, schwere Güterzüge zu ziehen oder aber auch schnelle D-Züge, wobei wohl Geschwindigkeiten über 200 km/h möglich gewesen wären. Die Kosten einer Atomlok wurden auf zwei Millionen DM beziffert. Die Kilometerkosten lägen bei einer angenommenen Jahresleistung von 200.000 Kilometern bei etwa zwei DM, womit sie unter den Betriebskosten von Dampflokomotiven gelegen hätte, aber über denen einer E-Lok.
Vorteil der deutschen Atomlok gegenüber der amerikanischen X-12 war das geringere Gewicht, entfällt doch der für die US-Atomlok nötige Kühltender und die Sekundärschutzeinrichtungen. Daneben war die A600 (A=Atommotor, 600 für 6000 PS) mit zwei Lokführerständen ausgestattet, die ein Wenden der Lok über eine riesige Drehscheibe oder große Wendedreiecke, wie in den USA üblich, überflüssig machte. Da in den 1950ger Jahren die große Elektrifizierung der deutschen Bahn erst bevorstand, wäre die Atomlok A600 durchaus eine Alternative zu dieser gewesen. Sie hätte auch ohne Probleme für den Fernverkehr nach Italien oder andere Länder eingesetzt werden können, ohne das an Grenze die Lokomotiven wegen verschiedener Netzspannungen ausgetauscht hätten werden müssen, wie es sonst damals bei E-Loks noch nötig war.
Nachdem der Artikel veröffentlicht wurde und einige Aufmerksamkeit auf sich zog, dementierte ziemlich rasch die Deutsche Bundesbahn, daß sie eine Atomlokomotive bauen wolle. Warum sie sich so schnell gegen einen Bau entschied, ist nicht so klar ersichtlich. Waren es wirtschaftliche Gründe oder hatten die Alliierten etwas dagegen einzuwenden? - Wie auch immer, die deutsche Atomlokomotive geriet in Vergessenheit. - Aber nicht hier!
Bei meinen Zeichnungen habe ich versucht, möglichst nahe an der Beschreibung und der Skizze der damaligen Zeit zu bleiben. Gegenüber dieser habe ich aber das Gehäuse zweimal unterbrochen und durch je einen Faltenbalg verbunden, damit die Atomlok auch einen Spurwechsel und Radien ohne Entgleisung bewältigen kann. Außerdem erhielt sie vor dem Reaktor auf jeder Seite eine zusätzliche Tür, was ich bei dieser Länge für nötig erachte. Auf jeder Seite kamen bei mir noch eine Lüftereinheit auf dem Dach hinzu. Die achtachsige Version habe ich nur bei der ersten Versuchslok übernommen, bei den weiteren Zeichnungen wählte ich die realistischere 12-achsige Version. Der Lokführerstand ist größer als bei der normalen V200. Es ist davon auszugehen, daß neben dem Lokführer dort ein Reaktortechniker eingeplant war, ähnlich einem Heizer auf einer Dampflok. Hätte man die A600 in Doppeltraktion eingesetzt, so wäre zwar nur ein Lokführer nötig gewesen, jedoch zwei Reaktortechniker, nämlich auf jeder Atomlok einer.
In den 1950gern hatte die Deutsche Bundesbahn Zügen und Lokomotiven je nach Typ und Aufgabe einen bestimmten Farbcode zugeordnet, eine Art Uniform für Loks und Wagen. Da eine Atomlok im Prinzip eine neue Art von Antriebstechnik darstellt, hätte sie vermutlich eine andere als die bisherigen Lokomotivenlackierungen bekommen. Ich habe mal die Farbe gelb ausgewählt. Erstens, da diese noch frei war und zweitens, weil mir beim Stichwort Atomkraft immer die Farbe gelb in den Sinn kommt, vielleicht wegen der gelben Atommüllfässer? Aber auch andere Lackierungen wären denkbar gewesen, da die Typenklasse auch andere Felder abgedeckt hätte und vielleicht für einen blauen D-Zug eine blaue Atomlok besser gepaßt hätte. Die Versuchslok habe ich dagegen in die Farben von Krauss-Maffei getaucht, wie der Lokhersteller sie auch für seine erste V300 benutzte.
Da es von der deutschen Atomlok dagegen nur eine Entwurfsskizze zu geben scheint, entschloß ich mich - als Entspannungsübung - gleichfalls die deutsche Atomlok etwas realistischer zu zeichnen. Die Ergebnisse sind unten folgend zu sehen.
Zu dem deutschen Atomlokentwurf läßt sich zusammenfassend folgendes sagen: 1955 veröffentlichte der Lockhersteller Krauss-Maffei einen Sonderdruck im Heft 22/1955 „Die Bundesbahn“ darüber, inwieweit sich die Atomenergie als Energiequelle für eine Lokomotive nutzen und wie in etwa eine solche sich verwirklichen ließe (siehe „hier“ und „hier“). Die Atomlokomotive sollte circa 35 Meter lang werden und aus drei ähnlichen Gehäusen der neu entwickelten Dieselhydrauliklok V200 (V=Verbrennungsmotor, 200 für 2000 PS), gleichfalls von Krauss-Maffei gebaut, bestehen. Äußerlich hätte sie im Prinzip einer langgestreckten V200 geähnelt. Vier Fahrgestelle sollte sie tragen, wobei jeweils zwei Achsen pro Fahrgestell, wie bei der V200, mittels Hydraulik für den Antrieb sorgen sollten. Als Gesamtgewicht der Atomlok wurden etwa 175 Tonnen errechnet. Die Achslast hätte hierbei rund 22 Tonnen betragen, was für das damalige deutsche Schienennetz sehr hoch gewesen wäre. Darum wurde erörtert und es ist auch fest auszugehen, daß jedes Drehgestell noch in der Mitte eine zusätzliche, antriebslose Achse zum Mitlaufen erhalten hätte. Das Achsgewicht hätte danach für europäische Verhältnisse akzeptable 15 Tonnen betragen. Herzstück der Atomlok war ein in der Mitte plazierter abgekapselter Uranreaktor, der durch Heliumgas moderiert und gekühlt werden sollte. Beidseitig des Reaktors hätte das erhitzte Heliumgas jeweils eine Hochdruckturbine angetrieben. Wie die erzeugt Kraft auf die Achsen weiter übertragen werden sollte, ist aus der Skizze nicht ganz verständlich. Anzunehmen wäre, daß die Hochdruckturbinen über Getriebe bzw. Kupplungen mit den Niederdruckturbinen verbunden wäre, die dann über die Hydraulik, wie bei der Diesellok V200, die verschiedenen Achsen über Wellen antreibt.
Man errechnete dabei eine Leistung der Lok von knapp 6.000 PS, was für die 1950ger Jahre sehr viel gewesen wäre. Mit dieser Kraft wäre sie in der Lage gewesen, schwere Güterzüge zu ziehen oder aber auch schnelle D-Züge, wobei wohl Geschwindigkeiten über 200 km/h möglich gewesen wären. Die Kosten einer Atomlok wurden auf zwei Millionen DM beziffert. Die Kilometerkosten lägen bei einer angenommenen Jahresleistung von 200.000 Kilometern bei etwa zwei DM, womit sie unter den Betriebskosten von Dampflokomotiven gelegen hätte, aber über denen einer E-Lok.
Vorteil der deutschen Atomlok gegenüber der amerikanischen X-12 war das geringere Gewicht, entfällt doch der für die US-Atomlok nötige Kühltender und die Sekundärschutzeinrichtungen. Daneben war die A600 (A=Atommotor, 600 für 6000 PS) mit zwei Lokführerständen ausgestattet, die ein Wenden der Lok über eine riesige Drehscheibe oder große Wendedreiecke, wie in den USA üblich, überflüssig machte. Da in den 1950ger Jahren die große Elektrifizierung der deutschen Bahn erst bevorstand, wäre die Atomlok A600 durchaus eine Alternative zu dieser gewesen. Sie hätte auch ohne Probleme für den Fernverkehr nach Italien oder andere Länder eingesetzt werden können, ohne das an Grenze die Lokomotiven wegen verschiedener Netzspannungen ausgetauscht hätten werden müssen, wie es sonst damals bei E-Loks noch nötig war.
Nachdem der Artikel veröffentlicht wurde und einige Aufmerksamkeit auf sich zog, dementierte ziemlich rasch die Deutsche Bundesbahn, daß sie eine Atomlokomotive bauen wolle. Warum sie sich so schnell gegen einen Bau entschied, ist nicht so klar ersichtlich. Waren es wirtschaftliche Gründe oder hatten die Alliierten etwas dagegen einzuwenden? - Wie auch immer, die deutsche Atomlokomotive geriet in Vergessenheit. - Aber nicht hier!
Bei meinen Zeichnungen habe ich versucht, möglichst nahe an der Beschreibung und der Skizze der damaligen Zeit zu bleiben. Gegenüber dieser habe ich aber das Gehäuse zweimal unterbrochen und durch je einen Faltenbalg verbunden, damit die Atomlok auch einen Spurwechsel und Radien ohne Entgleisung bewältigen kann. Außerdem erhielt sie vor dem Reaktor auf jeder Seite eine zusätzliche Tür, was ich bei dieser Länge für nötig erachte. Auf jeder Seite kamen bei mir noch eine Lüftereinheit auf dem Dach hinzu. Die achtachsige Version habe ich nur bei der ersten Versuchslok übernommen, bei den weiteren Zeichnungen wählte ich die realistischere 12-achsige Version. Der Lokführerstand ist größer als bei der normalen V200. Es ist davon auszugehen, daß neben dem Lokführer dort ein Reaktortechniker eingeplant war, ähnlich einem Heizer auf einer Dampflok. Hätte man die A600 in Doppeltraktion eingesetzt, so wäre zwar nur ein Lokführer nötig gewesen, jedoch zwei Reaktortechniker, nämlich auf jeder Atomlok einer.
In den 1950gern hatte die Deutsche Bundesbahn Zügen und Lokomotiven je nach Typ und Aufgabe einen bestimmten Farbcode zugeordnet, eine Art Uniform für Loks und Wagen. Da eine Atomlok im Prinzip eine neue Art von Antriebstechnik darstellt, hätte sie vermutlich eine andere als die bisherigen Lokomotivenlackierungen bekommen. Ich habe mal die Farbe gelb ausgewählt. Erstens, da diese noch frei war und zweitens, weil mir beim Stichwort Atomkraft immer die Farbe gelb in den Sinn kommt, vielleicht wegen der gelben Atommüllfässer? Aber auch andere Lackierungen wären denkbar gewesen, da die Typenklasse auch andere Felder abgedeckt hätte und vielleicht für einen blauen D-Zug eine blaue Atomlok besser gepaßt hätte. Die Versuchslok habe ich dagegen in die Farben von Krauss-Maffei getaucht, wie der Lokhersteller sie auch für seine erste V300 benutzte.
Ende 1974 führte die DB ihr neues Farbkonzept ein, bekannt unter dem Namen "ozeanblau-beige" (korrekterweise eigentlich "ozeanblau-elfenbein"). Fast sämtliche Lokomotiven und Reisezugwagen wurden ab da bei einer Überholung nach diesem neuen Farbschema gleich mit umgestrichen. Bei den Reisenden führte dies dann oftmals zur Verwirrung, stand man nun vor dem gesuchten 1.-Klasse-Abteilwagen oder vor dem Speisewagen? Auch die Lokomotiven wirkten in dem neuen Farbanstrich im Gegensatz zu vorher recht blaß und eintönig. Trotz aller Kritik zog die DB ihr Farbkonzept bis 1987 durch. Dann folgte ein neues Farbkonzept.
Wäre die Atomlok A600 gebaut worden und noch 1975 im Einsatz gewesen, wäre es nicht unwahrscheinlich, daß auch sie einen entsprechenden Anstrich verpaßt bekommen hätte. Sie sähe dann in etwa so aus:
Wäre die Atomlok A600 gebaut worden und noch 1975 im Einsatz gewesen, wäre es nicht unwahrscheinlich, daß auch sie einen entsprechenden Anstrich verpaßt bekommen hätte. Sie sähe dann in etwa so aus:
© Thorsten Migenda 2022-09-27
letzte Überarbeitung: 2024-02-21
letzte Überarbeitung: 2024-02-21