Atomlokomotiven
Die sowjetische Atomlokomotive „АЛ1“ von Kolomna / Rußland - Projekt von 1983 - 1985
Während in den westlichen Ländern spätestens in den 1960ger Jahren das Thema einer atomangetriebenen Lokomotive gestorben war, sei es durch wirtschaftliche Überlegungungen, als auch an der wachsenden Anzahl der Menschen, die der Atomkraft kritisch gegenüberstanden, sah das in der diktatorischen Sowjetunion anders aus, da man hier wenig Rücksicht auf die Meinung und die Gesundheit der eigenen Bevölkerung nahm, im allgemeinen und insbesondere dann, sobald es um die „Staatsicherheit“ ging. – Über Atomlokprojekte aus der Sowjetunion vernahm man immer wieder etwas, meistens mit übertriebenen Angaben, was diese alles leisten sollten, illustriert mit gezeichneten Phantasielokomotiven. So schlug in den 1950ger Jahren der sowjetische Ingenieur J. Moralewitsch eine Eisenbahn mit einer Spurweite von 4,5 Metern vor, die die geplante deutsche Breitspurbahn aus der Zeit des III. Reiches um 1,5 Meter übertroffen hätte. Für dann gezogene Wagenladungen von 1600 anstatt 60 Tonnen bot sich natürlich auch eine entsprechende Atomlok an. Siehe z.B. "hier" und "hier".
Daneben konstruierten 1956 an der Technischen Hochschule „Baumann“ in Moskau die zwei Absolventen, V. Shaikow und A. Stepanow, eine atomar angetriebene Güterzuglokomotive mit einer Leistung von 5.500 PS. Diese war auf die normale sowjetische Spurbreite ausgelegt und lehnte sich äußerlich an den amerikanischen Atomlokomotivenentwurf der „X12“ an. Als Spaltstoff war natürliches Uran vorgesehen, angereichert mit bis zu 2 Prozent Uran 235. Die geladene Brennstoffmenge sollte für 7.200 Betriebsstunden ausreichen. - Übrigens, das "hier" zu findende Foto mit den beiden Studenten und ihrem Professor Dr. Iwan Fedorowich Surovtsew (1905-1968) sollte man sich genauer ansehen. Auf dem alten Reißbrett rechts im Hintergrund kann man einen Lokomotiventwurf erkennen, der wohl die Atomlokomotive der beiden Studenten darstellt. Der Führerstand links wirkt "amerikanisch". Dort, wo die Lokomotive rechts eine art "Rucksack" hat, scheint der Reaktor plaziert zu sein. Außerdem sind wohl an die vier dreiachsigen Drehgestelle zu erkennen. Auf "livejornal.com" wird in einem Artikel die Atomlokomotive genauer beschrieben:
„ ... Im Jahr 1956 bereitete eine Gruppe von Studenten der Technischen Hochschule Baumann ihr eigenes Projekt einer Atomlokomotive vor. Das Projekt ähnelte in vielerlei Hinsicht der X-12 und bestand ebenfalls aus zwei Sektionen, von denen eine mit einem Reaktor und die andere mit einer 5500 PS starken Dampfturbine und Generatoren ausgestattet war. Das Gewicht der Lokomotive betrug 450 Tonnen, sie war 50 Meter lang und hatte 12 Achsen im ersten und sechs Achsen im zweiten Abschnitt. Besonderes Augenmerk wurde auf die Konstruktion des Kernreaktors gelegt - durch den Arbeitsbereich des Reaktors fließt flüssiges Natrium, das auf 450 Grad erhitzt wird, was wiederum das Wasser des Sekundärkreislaufs in einem Wärmetauscher zum Kochen bringt. Die Leistung der Turbine wird (mittels Strom) auf zwölf (Tatz-)Motore übertragen, einen Motor für jede Achse des ersten Abschnitts der Lokomotive. Der Reaktor besteht aus einem 1,5 m breiten und 2 m hohen Zylinder und enthält 1,5 Tonnen Uran. Diese Größe wurde gewählt, weil man bei dem Projekt nicht waffenfähiges, sondern niedrig angereichertes Uran verwenden wollte, um Kosten zu sparen. ...“
Danach verschwanden diese sowjetischen Atomloks wieder still und leise aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit und gerieten in Vergessenheit. Das lag auch daran, daß die Eisenbahn in der Sowjetuinion als ein strategisches und geheimes Objekt klassifiziert worden war, welches noch nicht einmal erlaubte, diese zu fotographieren (was Eisenbahnenthusiasten allerdings nicht davon abhielt, es doch heimlich zu tun). Eine russische Zusammenfassung der frühen sowjetischen Atomloks siehe "hier".
Dennoch gab es ein Atomlokprojekt, welches anscheinend fast durchkonstruiert wurde. Es handelte sich um eine geplante Atomlokomotive, die vorrangig die strategischen Atomraketenzüge durch die Sowjetunion kreuz und queer fahren sollte. Eine Lokomotive, die man nur alle paar Jahre neu mit „Treibstoff“ bestücken müßte, wäre für diesen Einsatz reizvoll gewesen. Daneben sollte die sowjetische Atomlok ähnlich einer eierlegen Wollmilchsau auch schwere Güterzüge durch nichtelektrifizierte Gegenden, vornehmlich Sibirien, transportieren, als auch als mobiles Kraftwerk für Baustellen und abgelegene Ortschaften dienen.
Die angedachte Atomlok wurde 1983-1985 von der Lokomotivenfabrik Kolomna in Zusammenarbeit mit dem Eisenbahntechnischen Forschungsinstitut (VNITI), gleichfalls in Kolomna beheimatet, unter dem Projektnamen „Sibirien“ entwickelt. Es entstanden acht verschiedene Atomlokomotivenentwürfe, von denen nur einer der breiteren Öffentlichkeit durch einen Zeitungsartikel mit einer einfachen Skizze bekannt wurde. Dieser Atomlokomotivenentwurf soll hier vorgestellt werden.
Ähnlich der ehemaligen Versuchslokomotive TE4 aus den 1960ger Jahren sollte die Lok aus drei fest miteinander gekuppelten Teilen bestehen, von der die zwei Triebköpfe links und rechts der Kernsektion auf die bewährte Dieselelektrolokomotive 2TE116 zurückgriff, die aber der Atomlok angepaßt werden mußte. Der völlig neuzukonstruiernde Mittelteil sollte den schnellen Neutronenreaktor vom Typ BOR 60 samt Strahlenschutz und den ersten sowie zweiten Kühlkreislauf mittels Natrium-Kalium (Na-K) beinhalten. Alleine der Kernreaktor mit Zubehör wie Wärmeaustauscher und Kontrollausrüstung sollte etwa 140 Tonnen wiegen. Darum waren für die Mittelsktion zwei vierachsige Drehgestelle vorgesehen, entweder die gleichen von der Diesellokomotive TEM7 oder neukonstruierte. Diese zwei Drehgestelle waren angeblich nicht angetrieben. Dennoch wäre es denkbar gewesen, daß die beiden Drehgestelle ihre acht Tatzlagerfahrmotore beibehalten hätten. Bei einer Anstiegsstrecke und anderen kurzfristigen Leistungserfordernissen bei einer Zugfahrt wären die acht zusätzlich angetriebenen Achsen mit ihrem Reibungsgewicht sehr hilfreich gewesen, die nötige zusätzliche Leistung der Atomlok zu erbringen. Auch bei der einstigen amerikanischen Atomlok X12 war eine kurzfristige Leistungssteigerung der Antriebskraft vorgesehen.
Der dritte Kühlkreislauf erfolgte über das Medium Luft. Dazu war vorgesehen, die 600 °C heiße Luft in beide Kopfeinheiten zu überführen, wo sie jeweils eine Gasturbine vom Typs D-012T-3 antreiben, die mit einem Dreiphasen-Synchron-Generator verbunden ist. Dessen erzeugter Strom wird gleichgerichtet und danach den jeweils sechs Gleichstromfahrmotore pro Triebkopf zugeführt. Notfalls hätte der Drehstromgenerator auch noch jeweils vier Gleichstromfahrmotore der Mittelsektion bedienen müssen. - Die expandierte Luft sollte nach dem Antrieb der Gasturbine mittels eines Verdichters und der Zufuhr zusätzlicher frischer Luft zurück zum Reaktor zur Kühlung geführt werden. Etwa 8.158 PS Antriebsleistung wurden für die Atomlok berechnet, was aber als steigerungswürdig angesehen wurde. Da die Gasturbinen für höhere Temperaturen ausgelegt waren, wäre dies durch verschiedene Optimierungsmaßnahmen durchaus möglich gewesen.
Zudem waren beide Triebköpfe mit einem Hilfsdieselmotor ausgestattet, mit dem es möglich gewesen wäre, die Lokomotive auch mit ausgeschalteten Reaktor zu bewegen. Außerdem waren die Hilfsdieselmotoren für das Anfahren des Reaktors vorgesehen.
Besonderer Wert wurde auf die Sicherheit des Reaktors bei einem schweren Unfall und gegen terroristische Angriffe gelegt. Daneben sah man wegen der anscheinend nicht völlig abgeschirmten Strahlung vor, die gleichen Bahnstrecken nicht in zu hoher Frequenz zu befahren, Städte und Bahnhöfe dazu mit gedrosselten Reaktor zu durchqueren. Angeblich sollte das Bedienungspersonal der Atomlok den damals geltenden Vorschriften gemäß genügend vor der radioaktiven Strahlung geschützt sein. Für Personenzüge, ausgenommen den Mannschaftswagen bei den Atomzügen, war sie wohl nicht vorgesehen.
Warum die Atomlokomotive nicht gebaut wurde ist unbekannt. Möglicherweise waren es Erwägungen, daß man nach dem Atomunfall in Tschernobyl (Ukraine) am 26. April 1986 bei der Bevölkerung nicht zusätzlich mit Atomlokomotiven ankommen wollte. Mal wird 1985 als Einstellungstermin des Projektes genannt, ein andermal dagegen 1986, was mit dem besagten Atomunfall zusammenfallen würde. Vielleicht lag es auch an dem Gedanken, daß Atomlokomotiven vor den Raketenzügen möglicherweise mittels der amerikanischen Satellitentechnik aufgespürt werden könnten und man dann doch lieber auf die altbewährten Dieselelektrolokomotiven zurückgriff. Zog sich das Militär mit seinen Geldmitteln aus einem Projekt zurück, blieb wohl auch nicht mehr viel Geld übrig für eine zivile Nutzung der Atomlok als Güterzuglok, obwohl die Eisenbahn nach Sibirien dringend ausgebaut werden mußte und Atomlokomotiven hier sehr nützlich gewesen wären. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Vertrag über die Reduzierung der Atomwaffen, die dann auch die Atomraketenzüge verbot, kam dann um 1990 wohl auch das endgültige Aus für die sowjetische Atomlok. Aber wer weiß, vielleicht erlebt sie eines Tages doch eine Wiederauferstehung?
Vorlage für meine Interpretation der Sowjetatomlok ist ein Bildchen in einem Zeitungsartikel und verschiedene Beschreibungen. Real gebaut hätte Atomlok wahrscheinlich hier und da anders ausgesehen. Vielleicht hätte sie mehr Lüftungsschlitze erhalten, der Übergang zwischen den Sektionen sähe anders aus und man hätte tatsächlich für die Mittelsektion die Drehgestelle der Diesellokomotive TEM7 übernommen, was die Mittelsektion noch länger gemacht hätte. Ich bat mal den Lokomotivenhersteller Kolomna um Informationen betreffend der Sowjetatomlok, erhielt jedoch (wie erwartet) bis heute keine Antwort. Grund dafür, wahrscheinlich ist die Atomlok immer noch ein Militärprojekt und dazu die alte russische Geheimniskrämerei (siehe auch oben im Text).
Daten zur sowjetischen Atomlokomotive:
Name / Bezeichnung: unbekannt, darum von mir nur genannt: „АЛ1“ (= Atomlokomotive 1);
Projekt von 1983 bis 1985;
Hauptsächlicher Verwendungszweck: strategische Atomraketenzüge, Güterzugdienst, mobiles Atomkraftwerk für abgelegene Ortschaften, Baustellen usw.;
Hersteller: Lokomotivenfabrik Kolomna / Rußland in Zusammenarbeit mit anderen Instituten;
Spurweite: 1.520 mm;
geplante Leistung: > ca. 8.158 PS;
Höchstgeschwindigkeit geschätzt: ca. 140 km/h;
Anzahl der elektrischen Fahrmotore: 2 x 6 (Triebköpfe) + eventuell 8 der Kernsektion;
Länge über Mittelpufferkupplung geschätzt: ca. 60.900 mm;
Höhe: ca. 5.254 mm;
Breite: 3.080 mm;
Gewicht: ca. 460 t;
Daneben konstruierten 1956 an der Technischen Hochschule „Baumann“ in Moskau die zwei Absolventen, V. Shaikow und A. Stepanow, eine atomar angetriebene Güterzuglokomotive mit einer Leistung von 5.500 PS. Diese war auf die normale sowjetische Spurbreite ausgelegt und lehnte sich äußerlich an den amerikanischen Atomlokomotivenentwurf der „X12“ an. Als Spaltstoff war natürliches Uran vorgesehen, angereichert mit bis zu 2 Prozent Uran 235. Die geladene Brennstoffmenge sollte für 7.200 Betriebsstunden ausreichen. - Übrigens, das "hier" zu findende Foto mit den beiden Studenten und ihrem Professor Dr. Iwan Fedorowich Surovtsew (1905-1968) sollte man sich genauer ansehen. Auf dem alten Reißbrett rechts im Hintergrund kann man einen Lokomotiventwurf erkennen, der wohl die Atomlokomotive der beiden Studenten darstellt. Der Führerstand links wirkt "amerikanisch". Dort, wo die Lokomotive rechts eine art "Rucksack" hat, scheint der Reaktor plaziert zu sein. Außerdem sind wohl an die vier dreiachsigen Drehgestelle zu erkennen. Auf "livejornal.com" wird in einem Artikel die Atomlokomotive genauer beschrieben:
„ ... Im Jahr 1956 bereitete eine Gruppe von Studenten der Technischen Hochschule Baumann ihr eigenes Projekt einer Atomlokomotive vor. Das Projekt ähnelte in vielerlei Hinsicht der X-12 und bestand ebenfalls aus zwei Sektionen, von denen eine mit einem Reaktor und die andere mit einer 5500 PS starken Dampfturbine und Generatoren ausgestattet war. Das Gewicht der Lokomotive betrug 450 Tonnen, sie war 50 Meter lang und hatte 12 Achsen im ersten und sechs Achsen im zweiten Abschnitt. Besonderes Augenmerk wurde auf die Konstruktion des Kernreaktors gelegt - durch den Arbeitsbereich des Reaktors fließt flüssiges Natrium, das auf 450 Grad erhitzt wird, was wiederum das Wasser des Sekundärkreislaufs in einem Wärmetauscher zum Kochen bringt. Die Leistung der Turbine wird (mittels Strom) auf zwölf (Tatz-)Motore übertragen, einen Motor für jede Achse des ersten Abschnitts der Lokomotive. Der Reaktor besteht aus einem 1,5 m breiten und 2 m hohen Zylinder und enthält 1,5 Tonnen Uran. Diese Größe wurde gewählt, weil man bei dem Projekt nicht waffenfähiges, sondern niedrig angereichertes Uran verwenden wollte, um Kosten zu sparen. ...“
Danach verschwanden diese sowjetischen Atomloks wieder still und leise aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit und gerieten in Vergessenheit. Das lag auch daran, daß die Eisenbahn in der Sowjetuinion als ein strategisches und geheimes Objekt klassifiziert worden war, welches noch nicht einmal erlaubte, diese zu fotographieren (was Eisenbahnenthusiasten allerdings nicht davon abhielt, es doch heimlich zu tun). Eine russische Zusammenfassung der frühen sowjetischen Atomloks siehe "hier".
Dennoch gab es ein Atomlokprojekt, welches anscheinend fast durchkonstruiert wurde. Es handelte sich um eine geplante Atomlokomotive, die vorrangig die strategischen Atomraketenzüge durch die Sowjetunion kreuz und queer fahren sollte. Eine Lokomotive, die man nur alle paar Jahre neu mit „Treibstoff“ bestücken müßte, wäre für diesen Einsatz reizvoll gewesen. Daneben sollte die sowjetische Atomlok ähnlich einer eierlegen Wollmilchsau auch schwere Güterzüge durch nichtelektrifizierte Gegenden, vornehmlich Sibirien, transportieren, als auch als mobiles Kraftwerk für Baustellen und abgelegene Ortschaften dienen.
Die angedachte Atomlok wurde 1983-1985 von der Lokomotivenfabrik Kolomna in Zusammenarbeit mit dem Eisenbahntechnischen Forschungsinstitut (VNITI), gleichfalls in Kolomna beheimatet, unter dem Projektnamen „Sibirien“ entwickelt. Es entstanden acht verschiedene Atomlokomotivenentwürfe, von denen nur einer der breiteren Öffentlichkeit durch einen Zeitungsartikel mit einer einfachen Skizze bekannt wurde. Dieser Atomlokomotivenentwurf soll hier vorgestellt werden.
Ähnlich der ehemaligen Versuchslokomotive TE4 aus den 1960ger Jahren sollte die Lok aus drei fest miteinander gekuppelten Teilen bestehen, von der die zwei Triebköpfe links und rechts der Kernsektion auf die bewährte Dieselelektrolokomotive 2TE116 zurückgriff, die aber der Atomlok angepaßt werden mußte. Der völlig neuzukonstruiernde Mittelteil sollte den schnellen Neutronenreaktor vom Typ BOR 60 samt Strahlenschutz und den ersten sowie zweiten Kühlkreislauf mittels Natrium-Kalium (Na-K) beinhalten. Alleine der Kernreaktor mit Zubehör wie Wärmeaustauscher und Kontrollausrüstung sollte etwa 140 Tonnen wiegen. Darum waren für die Mittelsktion zwei vierachsige Drehgestelle vorgesehen, entweder die gleichen von der Diesellokomotive TEM7 oder neukonstruierte. Diese zwei Drehgestelle waren angeblich nicht angetrieben. Dennoch wäre es denkbar gewesen, daß die beiden Drehgestelle ihre acht Tatzlagerfahrmotore beibehalten hätten. Bei einer Anstiegsstrecke und anderen kurzfristigen Leistungserfordernissen bei einer Zugfahrt wären die acht zusätzlich angetriebenen Achsen mit ihrem Reibungsgewicht sehr hilfreich gewesen, die nötige zusätzliche Leistung der Atomlok zu erbringen. Auch bei der einstigen amerikanischen Atomlok X12 war eine kurzfristige Leistungssteigerung der Antriebskraft vorgesehen.
Der dritte Kühlkreislauf erfolgte über das Medium Luft. Dazu war vorgesehen, die 600 °C heiße Luft in beide Kopfeinheiten zu überführen, wo sie jeweils eine Gasturbine vom Typs D-012T-3 antreiben, die mit einem Dreiphasen-Synchron-Generator verbunden ist. Dessen erzeugter Strom wird gleichgerichtet und danach den jeweils sechs Gleichstromfahrmotore pro Triebkopf zugeführt. Notfalls hätte der Drehstromgenerator auch noch jeweils vier Gleichstromfahrmotore der Mittelsektion bedienen müssen. - Die expandierte Luft sollte nach dem Antrieb der Gasturbine mittels eines Verdichters und der Zufuhr zusätzlicher frischer Luft zurück zum Reaktor zur Kühlung geführt werden. Etwa 8.158 PS Antriebsleistung wurden für die Atomlok berechnet, was aber als steigerungswürdig angesehen wurde. Da die Gasturbinen für höhere Temperaturen ausgelegt waren, wäre dies durch verschiedene Optimierungsmaßnahmen durchaus möglich gewesen.
Zudem waren beide Triebköpfe mit einem Hilfsdieselmotor ausgestattet, mit dem es möglich gewesen wäre, die Lokomotive auch mit ausgeschalteten Reaktor zu bewegen. Außerdem waren die Hilfsdieselmotoren für das Anfahren des Reaktors vorgesehen.
Besonderer Wert wurde auf die Sicherheit des Reaktors bei einem schweren Unfall und gegen terroristische Angriffe gelegt. Daneben sah man wegen der anscheinend nicht völlig abgeschirmten Strahlung vor, die gleichen Bahnstrecken nicht in zu hoher Frequenz zu befahren, Städte und Bahnhöfe dazu mit gedrosselten Reaktor zu durchqueren. Angeblich sollte das Bedienungspersonal der Atomlok den damals geltenden Vorschriften gemäß genügend vor der radioaktiven Strahlung geschützt sein. Für Personenzüge, ausgenommen den Mannschaftswagen bei den Atomzügen, war sie wohl nicht vorgesehen.
Warum die Atomlokomotive nicht gebaut wurde ist unbekannt. Möglicherweise waren es Erwägungen, daß man nach dem Atomunfall in Tschernobyl (Ukraine) am 26. April 1986 bei der Bevölkerung nicht zusätzlich mit Atomlokomotiven ankommen wollte. Mal wird 1985 als Einstellungstermin des Projektes genannt, ein andermal dagegen 1986, was mit dem besagten Atomunfall zusammenfallen würde. Vielleicht lag es auch an dem Gedanken, daß Atomlokomotiven vor den Raketenzügen möglicherweise mittels der amerikanischen Satellitentechnik aufgespürt werden könnten und man dann doch lieber auf die altbewährten Dieselelektrolokomotiven zurückgriff. Zog sich das Militär mit seinen Geldmitteln aus einem Projekt zurück, blieb wohl auch nicht mehr viel Geld übrig für eine zivile Nutzung der Atomlok als Güterzuglok, obwohl die Eisenbahn nach Sibirien dringend ausgebaut werden mußte und Atomlokomotiven hier sehr nützlich gewesen wären. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Vertrag über die Reduzierung der Atomwaffen, die dann auch die Atomraketenzüge verbot, kam dann um 1990 wohl auch das endgültige Aus für die sowjetische Atomlok. Aber wer weiß, vielleicht erlebt sie eines Tages doch eine Wiederauferstehung?
Vorlage für meine Interpretation der Sowjetatomlok ist ein Bildchen in einem Zeitungsartikel und verschiedene Beschreibungen. Real gebaut hätte Atomlok wahrscheinlich hier und da anders ausgesehen. Vielleicht hätte sie mehr Lüftungsschlitze erhalten, der Übergang zwischen den Sektionen sähe anders aus und man hätte tatsächlich für die Mittelsektion die Drehgestelle der Diesellokomotive TEM7 übernommen, was die Mittelsektion noch länger gemacht hätte. Ich bat mal den Lokomotivenhersteller Kolomna um Informationen betreffend der Sowjetatomlok, erhielt jedoch (wie erwartet) bis heute keine Antwort. Grund dafür, wahrscheinlich ist die Atomlok immer noch ein Militärprojekt und dazu die alte russische Geheimniskrämerei (siehe auch oben im Text).
Daten zur sowjetischen Atomlokomotive:
Name / Bezeichnung: unbekannt, darum von mir nur genannt: „АЛ1“ (= Atomlokomotive 1);
Projekt von 1983 bis 1985;
Hauptsächlicher Verwendungszweck: strategische Atomraketenzüge, Güterzugdienst, mobiles Atomkraftwerk für abgelegene Ortschaften, Baustellen usw.;
Hersteller: Lokomotivenfabrik Kolomna / Rußland in Zusammenarbeit mit anderen Instituten;
Spurweite: 1.520 mm;
geplante Leistung: > ca. 8.158 PS;
Höchstgeschwindigkeit geschätzt: ca. 140 km/h;
Anzahl der elektrischen Fahrmotore: 2 x 6 (Triebköpfe) + eventuell 8 der Kernsektion;
Länge über Mittelpufferkupplung geschätzt: ca. 60.900 mm;
Höhe: ca. 5.254 mm;
Breite: 3.080 mm;
Gewicht: ca. 460 t;
© Thorsten Migenda 2022-11-10
letzte Überarbeitung: 2022-11-25
letzte Überarbeitung: 2022-11-25